
Die Abläufe und Diskussionen im Deutschen Bundestag wirken mitunter etwas langatmig. Eintönig. Wer erinnert sich da nicht gerne an Speaker John Bercow mit seinen „Order!“-Rufen im britischen Parlament. In dieser Woche war jedoch alles anders. Es wurde debattiert, es wurde unterbrochen, es wurde zum Teil laut.
Auslöser war ein Entschließungsantrag von Friedrich Merz zur Migrationspolitik. SPD und Grüne haben erklärt, dass sie dem nicht zustimmen - weil dieser gegen geltendes Recht verstoßen würde und schlicht nicht umsetzbar sei. Die AfD hat im Gegenzug Zustimmung signalisiert. Und so wurde das erste Mal im Bundestag ein Antrag mit den Stimmen von Rechtaußen beschlossen. Zwei Tage später fand ein Gesetzentwurf der Union trotz der Stimmen der AfD keine Mehrheit.
Was ist nun die Bilanz dieser Woche?
Merz hat mit dem Entschließungsantrag eine Erwartungshaltung in der Bevölkerung erzeugt, die nicht erfüllt werden kann. Ein solcher Antrag führt nicht zu konkreten Veränderungen. Er ist im Grunde genommen lediglich ein Stimmungsbild des Parlamentes, eine Empfehlung an die Regierung, jedoch in keinerlei Hinsicht bindend. Wer dachte, Union, FDP und AfD hätten nun konkrete Maßnahmen beschlossen, der irrt.
Genau dafür, für eine Unverbindlichkeit, hat Merz sein eigenes Wort gebrochen. Noch im November 2024 hat er im Bundestag gesagt: „Wir sollten vereinbaren, dass wir nur die Entscheidungen auf die Tagesordnung setzen, über die wir uns zuvor mit Ihnen von der SPD und den Grünen in der Sache geeinigt haben“. Damit könne man eine Mehrheit mit der AfD – ob zufällig oder herbeigeführt verhindern. „Denn das hätten diese Damen und Herren von Rechtsaußen doch gern, dass sie plötzlich die Mehrheiten besorgen.“
Nun hat Merz wissentlich und sehenden Auges genau diese AfD hofiert. Nach der Abstimmung lagen sich die AfD-Abgeordneten in den Armen, feixten, und schossen Selfies.
Wie belastbar ist nun Merz´ Versprechen, nach der Wahl nicht mit der AfD zu koalieren? Zumal er mit seiner Zockerei das Verhältnis zu SPD und Grünen massiv belastet hat. Wie soll eine stabile Regierung zustande kommen, wenn Söder nicht mit den Grünen will, man Rot und Grün verprellt hat und angeblich nicht mit der AfD koalieren will? CDU-General Linnemann sagte im TV, dass man dann eben nicht regieren könne. Und dann?
Nach der Abstimmung am Mittwoch ging die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel in ungewohnt klarer Weise auf Distanz, hielt das Vorgehen für falsch. Michel Friedman sagte, dass das Geschreie im Bundestag unwürdig gewesen sei und trat aus der CDU aus. Der Holocaust-Überlebende Albrecht Weinberg gab aus Protest sein Bundesverdienstkreuz zurück. Kritik kam auch von der evangelischen und der katholischen Kirche, sowie dem Zentralrat der Juden. Ausländische Partner zeigten sich irritiert über die Vorgänge, während die Rechtspopulisten Europas jubelten. Auch aus den eigenen Reihen gab es Kritik, darunter von mehreren Ministerpräsidenten der Union.
Vor diesem Hintergrund fand das „Zustrombegrenzungsgesetz“, welches Merz am Freitag einbrachte, keine Mehrheit – trotz der Stimmen der AfD und einiger Stimmen des BSW. So blieben ein Dutzend Unionsabgeordnete und 16 Abgeordnete der FDP der Abstimmung fern, fünf weitere Liberale enthielten sich.
Damit hat Merz auch gezeigt, dass er seine eigene Fraktion nicht mehr geschlossen hinter sich bringen konnte und hat seinen möglichen Koalitionspartner FDP in eine missliche Lage gebracht. Um den Wiedereinzug in den Bundestag kämpfend, sind die Liberalen nun diejenigen, welche einerseits gezeigt haben, dass auch sie mit der AfD stimmen würden, gleichzeitig jedoch nicht verlässlich sind. Letzteres würden SPD und Grüne wohl auch unterschreiben.
Gleichzeitig feixt AfD-Vorsitzende Alice Weidel: „Das ist die Demontage von Friedrich Merz als Kanzlerkandidat gewesen.“ Er sei „als Tiger gesprungen und endete als Bettvorleger.“ Das Fazit der Populisten von Rechtaußen ist klar: Wenn jemand wirklich den Politikwechsel will, dann gehe das nur mit ihnen. Das ist nach dem Erfolg von Mittwoch noch einmal zusätzlich Wasser auf die Mühlen der Antidemokraten. Das Vertrauen der Menschen in unserem Land in die Politik und die handelnden Akteure hat in dieser Woche weiter an Kraft verloren.
Angetreten mit dem Slogan „Deutschland wieder in Ordnung bringen“, hat Friedrich Merz in nur drei Tagen Chaos verursacht und einen immensen Schaden angerichtet – gesellschaftlich und politisch, national, wie auch international.
Und was sagt Merz selbst dazu? „Ich fand, es war die Sache wert, dass wir uns heute mal wirklich offen ausgesprochen haben über das Thema Einwanderung und Migration.“
Es war die Sache wert. Wirklich?
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