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„Die SPD muss sterben, damit wir leben können“ – eine Medienkritik


Der SPD-Bundesparteitag ist vorbei, die neue Doppelspitze steht, zahlreiche Anträge sind beschlossen. Es war ein guter Parteitag, kein überbordender Jubelparteitag, aber ein ehrlicher, bodenständiger, ernsthafter. Die Sozialdemokratie hat ihr Führungsduo mit 75,9 bzw. 89,2 Prozent gewählt. Es wurde über die Zukunft der GroKo diskutiert. Man hat mit Bedacht abgewogen und sich für eine Nachjustierung des Koalitionsvertrages ausgesprochen. Inhaltlich hat man dabei viel gewagt: Hartz IV soll überwunden und zum Bürgergeld weiterentwickelt, die Schuldenbremse soll abgeschafft werden, um mehr investieren zu können. Die Bezugsdauer von ALG I soll von 24 auf 36 Monate anwachsen, beim Mindestlohn wird eine Höhe von 12 Euro angestrebt. Für Kinder soll eine Kindergrundsicherung eingeführt werden, für Netto(!)vermögen ab 2 Mio. Euro soll die Vermögenssteuer wieder gelten – und besonders wichtig: es soll mehr im Bereich des Klimaschutzes getan werden. Dies allerdings mit einem Sozialausgleich, beispielsweise für Pendler*innen auf dem flachen Land.


Damit schließt die SPD an viele in der GroKo, zum Teil gegen den Widerstand der Union, durchgesetzten Reformen an: Die Grundrente, die bedürftige Rentnerinnen ohne Gang zum Sozialamt besser stellt. 5,5 Mrd. Euro für bessere Kitas. Normalverdienerinnen werden künftig nicht mehr für die Deckung der Pflegekosten ihrer Eltern herangezogen. Die Abschaffung des Soli für 90 Prozent der Steuerzahler. Die Mindestvergütung für Auszubildende. Eine bessere Bezahlung für Pflegekräfte – und einiges mehr.


Die neuen Beschlüsse sind mutig: zum Einen, weil sie mit der Agenda-Politik der letzten Jahre brechen, eine Rückkehr zum Markenkern der Partei darstellen, und ernsthaft versuchen, die statt gefundenen, unerwünschten Auswüchse zu korrigieren. Zum Anderen, weil sie Klimaschutz mit Sozialpolitik koppeln. Dies ist in dieser Form ein Alleinstellungsmerkmal der SPD. Während FDP und Union unter allen Umständen Belastungen von der Wirtschaft und den Konzernen fern halten wollen, die AfD den Klimawandel per se leugnet und die Grünen ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Akzeptanz und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Menschen im Land Klimapolitik betreiben wollen. Es wäre also Grund genug, die SPD in ihrem Tun zu bestärken.


Stattdessen erleben wir ein ganz anderes Bild der Berichterstattung: Pünktlich nach der Wahl der neuen Vorsitzenden veröffentlichen RTL und n-tv ein neues Trendbarometer („SPD rutscht mit neuer Spitze auf 11 Prozent ab“). DerSPIEGEL titelt: „Ausgebrannt. Wer braucht die SPD noch? Psychogramm einer verstörten Partei“. Der Stern schießt eine ganze Salve an Artikeln gegen die SPD: „Weiter so mit Esken und Walter-Borjans – nur anders“, „Abschiedsbrief: Ich habe jahrelang SPD gewählt – jetzt ist für mich Schluss“, „stern-Reporter berichtet vom SPD-Parteitag: Pflicht-Applaus für erstaunlich schlechte Reden“. Die Zeit titelt gar: „Sozialdemokratie: Die SPD muss sterben, damit wir leben können.“ Im dazugehörigen Artikel heißt es: „Für die politische Diskussion der Gegenwart ist es aber fatal, wenn Klima und Soziales auf Augenhöhe verhandelt werden.“


Fatal wäre es, wenn man Klimapolitik betreiben würde und dabei – bei aller gebotenen Dringlichkeit – den sozialen Aspekt und damit letzten Endes einen Großteil der Bevölkerung aus dem Blick verlieren würde. Eine funktionierende Klimapolitik wird es nur geben, wenn die Menschen die erforderlichen Maßnahmen akzeptieren und die nötigen Schritte auch mitzugehen bereit sind. Wer wie die Union eine hohe Flexibilität von den arbeitenden Menschen im Land fordert und wie jüngst Jens Spahn der Aussage „Besser schlecht bezahlt arbeiten, als nicht arbeiten“ grundsätzlich zustimmen würde, gleichzeitig wie die Grünen höhere Benzinpreise fordert, den Menschen (nicht nur) im ländlichen Raum allerdings keine Alternativen zur Fahrt im PKW anbieten kann, gießt nur Wasser auf die Mühlen der Populisten und sägt an der Basis unserer Demokratie.


Ja, die Grünen sind gerade hip und sexy. Sie sind aber auch die Partei der Besserverdienenden. Da wird gerne übersehen, dass es sich viele Menschen nicht leisten können, eine Photovoltaikanlage auf das Dach zu setzen, nachhaltig beim Biobauern aus der Region einzukaufen oder auf ein Elektro- oder Hybridfahrzeug umzusteigen. Die Realität ist: Unsere Gesellschaft driftet immer weiter auseinander. Dem reichsten Zehntel der Bevölkerung gehören 56 Prozent des Gesamtvermögens in unserem Land. Das reichste Prozent besitzt soviel, wie die ärmsten 75 Prozent der Bevölkerung zusammen.

Es ist also beides wichtig: Klimaschutz UND Sozialpolitik. Das eine bedingt das andere. Ohne wirksamen Klimaschutz drohen uns durch die Folgen des Klimawandels gravierende soziale Verwerfungen weltweit. Ohne wirksame Sozialpolitik werden die Menschen wiederum die Klimapolitik nicht mittragen. Das hat die SPD erkannt – und darauf reagiert.


Warum fragen die Medien also nicht, wie die Grünen beim Klimaschutz einen sozialen Ausgleich herstellen wollen? Warum muss die Union nicht begründen, wieso sie sich gegen einen höheren Mindestlohn oder eine bessere Klimapolitik stellt? Warum lässt man eine AfD damit durchkommen, dass sie einfach nicht an den Klimawandel glaubt?


Vielleicht haben manche Medienkonzerne am Ende einfach nur Angst. Angst, dass die SPD mit ihrem Aufbruch in die „neue Zeit“, mit ihrem neuen Sozialstaatskonzept, auch sie Geld kosten wird. Vielleicht hat man deswegen schon vor der Wahl des neuen Führungsduos gegen NoWaBo und Saskia Esken geschossen – und legt jetzt nach. Das mag aus der Sicht der Verantwortlichen nachvollziehbar sein – seriöser Journalismus ist das allerdings nicht. Manche Medien mögen der Meinung sein, die SPD sei überflüssig. Aber die Menschen im Land brauchen eine starke Sozialdemokratie – gerade auch in Zeiten des stattfindenden Klimawandels.

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