Keine Partei lebt so stark von der herrschenden Unzufriedenheit mit den regierenden (Volks-)Parteien wie die AfD – gefolgt ganz neu vom BSW. Mantraartig wird den Verantwortlichen vorgehalten, dass sie ihre Wahlversprechen nicht einhalten würden. Allgemein gilt der Grundsatz, den Blutdruck des Wahlvolkes möglichst hoch und die eigenen Lösungsansätze möglichst niedrig zu halten.
Deshalb stimmt die AfD im Bundestag allein schon gegen jede Tagesordnung. Deshalb stimmt man so oft wie keine andere Partei im Parlament gegen eingebrachte Gesetzesvorlagen, auch wenn diese den Menschen dienen, deren Interessen zu verteidigen man vorgibt. Mehr Sicherheit für Arbeitnehmer:innen auf Abruf, Entlastung von Geringverdiener:innen, Lohnzuschüsse für Langzeitarbeitslose, höhere „Mütter“-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenrenten, mehr Geld für KiTas, Mindestlohn für Azubis, höhere Löhne für Pflegeberufe, höhere Freibeträge für Alleinerziehende. Das ist nur eine Auswahl dessen, was die AfD im Bundestag alles abgelehnt hat. Alles aufzuzählen wäre zu müßig und würde jeden Rahmen sprengen.
Nun kann man natürlich sagen, dass es nicht Aufgabe der Opposition ist, den Regierungsparteien zuzustimmen. Das ist richtig. Deshalb möchte ich gar nicht auf das Verhalten im Bundestag eingehen oder mich mit den überproportional vielen Strafermittlungen und Verurteilungen von AfD-Politikern aufhalten, sondern ganz konkret betrachten, wie die AfD dort wirkt, wo sie selbst gestalten kann.
Hierzu gibt es zwei Beispiele: Hannes Loth, der in Raguhn-Jeßnitz, das liegt im schönen Sachsen-Anhalt, im September 2023 erster hauptamtlicher AfD-Bürgermeister in Deutschland geworden ist. Und als zweites Robert Sesselmann, der erste AfD-Landrat Deutschlands, der dem Landkreis Sonneberg in Thüringen vorsteht.
Hannes Loth ist mit der Forderung in den Wahlkampf gestartet, dass Kindergarten- und Kita-Plätze kostenfrei sein sollen. Ebenso wollte er „Heimat, Kultur und Vereine dauerhaft unterstützen“. Der Feuerwehr wurde die Sanierung ihrer Gerätehäuser versprochen. Manche seiner Versprechen hielten nur bis zum ersten Tag seiner Amtszeit. Die Unterstützung der Vereine wurde gleich in seinem ersten Grußwort als neuer Bürgermeister wieder zu den Akten gelegt. Dafür sei kein Geld da. Die Kosten für die Kinderbetreuung sollten erst um 60 Prozent erhöht werden, am Ende war es noch eine Mehrbelastung von 20 Euro pro Monat und Kind. Das mag noch irgendwie sozialverträglich sein, aber die geforderte Kostenfreiheit sieht anders aus. Und auch die Feuerwehr muss natürlich noch auf ihre Sanierungen und Modernisierungen warten. Dafür, dass kein Geld im Stadtsäckel ist, kann der AfD-Mann nur bedingt etwas. Aber dies dürfte ihm zuvor schon bekannt gewesen sein, denn im Wahlkampf hatte er genau dies für sich zu nutzen gewusst.
Noch deutlicher wird das Ganze bei Robert Sesselmann. Natürlich hat ein Landrat weitreichendere Gestaltungsmöglichkeiten als ein Bürgermeister – ist ein Landkreis doch deutlich größer als eine Kommune. Diese Spielräume hat Sesselmann jedoch klar überschätzt, als er im Wahlkampf dafür warb, die Grenzen zu schließen, den Euro abzuschaffen oder mit Russland über Frieden zu verhandeln. Das Landratsamt in Sonneberg ist nicht die EZB und verfügt weder über eigene Grenzpolizeieinheiten noch über ein Außenministerium. Gewählt wurde er trotzdem, obschon jedem Kenner grundlegender politischer Zusammenhänge hätte klar sein müssen, dass diese Versprechen nicht das Papier oder die Plaste wert sind, auf welche sie gedruckt worden waren. Im April berichtete DER SPIEGEL, dass der AfD-Landrat an einer Natursteinmauer entlang einer Landstraße scheitert. Eine Umgehung konnte er nicht durchsetzen, nun müssen Schüler, Bürger und Pendler seit Monaten 18 Kilometer Umweg fahren. Da sind wir weit weg vom Euro oder von Friedensverhandlungen. Da sind wir in den Niederungen der Kommunalpolitik angelangt.
Im Siegesrausch hat die AfD nach der Wahl Sesselmanns in den sozialen Netzwerken gepostet „Das blaue Wunder von Sonneberg ist wahr geworden!“. Im Wahlkampf hatte der AfD-Mann noch angekündigt, Schulen erhalten und die bestehenden Kliniken sichern zu wollen. Ebenso hat er für solide Finanzen geworben. Die Realität ist indes eine andere: Zwar wurde der Haushalt des Landkreises genehmigt, jedoch ist er bereits in diesem Jahr nicht ausgeglichen. Dies konnte nur mit einem genehmigten Kredit gelingen. Für die kommenden Jahre stehen durch die Insolvenz des Klinikverbundes REGIOMED weitere Kosten im Raum. Zudem wurde die Kreisumlage erhöht, was die Gestaltungsspielräume der Kommunen im Landkreis deutlich reduziert. Auch das Versprechen, Schulstandorte zu erhalten, konnte der Landrat nicht einhalten: Die Grundschule in Mengersgereuth-Hämmern wurde geschlossen. Aktuell läuft eine Petition, welche den Rettungsdienst im Landkreis Sonneberg nach Kürzungen in Gefahr sieht.
Schuld sind natürlich immer die anderen: das Landesamt, die leeren Kassen, der Thüringische Rechnungshof – oder eben pauschal „die da oben“. Und so schließt sich der Kreis: Den Blutdruck hoch, die eigenen Lösungsansätze niedrig halten.
Die AfD wirkt – tatsächlich. Allerdings anders als gedacht. Und viele Menschen erleben nun ein „blaues Wunder“ der ganz anderen Art. Und dennoch dürfte – nach aktuellem Stand – die AfD als Wahlsieger aus den Landtagswahlen im Herbst hervorgehen. In Sachsen ist die Partei ebenso stärkste Kraft wie in Thüringen und Brandenburg.
Die Frage ist nur: Wie soll eine Regierung, beispielsweise in Thüringen, aussehen, wenn die AfD auf 29 Prozent der Stimmen kommt, das BSW auf 21 Prozent, die CDU auf 23 Prozent und die Linke auf elf Prozent. Einstellig dürften die Ampel-Parteien werden. Die SPD steht aktuell bei sieben Prozent, die Grünen würden mit vier Prozent aus dem Landtag fallen und die FDP läuft inzwischen unter „Sonstige“.
Die Menschen sollten die Frage stellen, was sie wollen. Wollen sie eine Regierung, die Probleme anpackt und zumindest zu lösen versucht oder ist das wichtigste Ziel, es „der Ampel“ nochmal so richtig zu zeigen. Ich befürchte, dass ich die Antwort kenne. Dann aber werden die Menschen im Nachgang an vielen Stellen ihr „blaues Wunder“ erleben und feststellen, dass die Wahl von Populisten allein eben keine Probleme löst.
Bis dahin aber wird die AfD weiter wirken.
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