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Der „Fall Kalbitz“ – die Gretchenfrage der AfD


„Nun sag, wie hast du’s mit der Religion? Du bist ein herzlich guter Mann, allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.“ – so fragt die Margarete den Heinrich Faust in Goethes berühmten Werk. Übersetzt in die heutige Zeit würde Gretchen mit Blick auf die AfD die Weidels, Gaulands und Meuthens dieser Partei wahrscheinlich fragen: „Nun sagt, wie habt ihr es mit der Distanz zur extremen Rechten? Ihr tut recht herzlich brav und bieder, allein ich glaub, ihr haltet nicht viel davon.“


Immer wieder fallen Politiker der AfD mit schockierenden Aussagen oder ihrer Nähe zur extremen Rechten auf. Immer wieder wird sich dann halbherzig distanziert oder man zieht sich darauf zurück, dass es Mitarbeiter gewesen seien oder man sei „auf der Maus ausgerutscht“. Auch Kalbitz ist immer wieder durch seine scharfe Rhetorik aufgefallen. Er ist einer der wichtigsten Köpfe in Höckes völkischem „Flügel“ und einer der mächtigsten AfD-Männer in den neuen Bundesländern.


Kritik an seinen Beziehungen in die rechtsextreme Szene hat Kalbitz immer als Jugendsünden abgetan, er habe sich da eben „mal generell interessiert“. Dies erscheint angesichts der langen Liste seiner Kontakte jedoch mehr als unglaubwürdig. Mitglied in der Schülerburschenschaft Saxonia-Czernowitz. Mitglied im Witikobund. Kontakte zur Burschenschaft Danubia. Teilnahme an einem Fackelzug mit Neonazis in Athen. Mitglied im Vorstand des Vereins Kultur- und Zeitgeschichte, Archiv der Zeit e.V., welcher als rechtsextrem angesehen wird. Teilnahme an Veranstaltungen der HDJ, der Heimatreuen Deutschen Jugend. Laut Recherchen des Spiegel soll Kalbitz gegenüber dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) auch die Mitgliedschaft in der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen zugegeben haben. Was für eine Vita! „Kalbitz! Mir graut´s vor dir.“


Alles das hat dem Aufstieg und der Karriere innerhalb der AfD dennoch nicht geschadet. Der Erfolg gab ihm am Ende Recht. Gauland stellte sich schützend vor Kalbitz, meinte gar, dieser sei „genauso bürgerlich“ wie er selbst. Kalbitz wiederum sagt von sich, er habe „keine rechtsextreme Biografie“. Dass der AfD-Promi nicht nur bei der HDJ zu Gast, sondern auch Mitglied gewesen sein soll, wurde ihm nun zum Verhängnis. Ebenso wie die verschwiegene Mitgliedschaft in der Partei „Die Republikaner“ in den 90er Jahren. Nun hat der Bundesvorstand Kalbitz mit sieben zu fünf Stimmen rausgeworfen. Denkbar knapp – aber immerhin. AfD-Chef Meuthen konnte sich (zunächst) durchsetzen.


Ein einheitliches Stimmungsbild war dies nicht. Trotz allem. Alice Weidel und Alexander Gauland traten mit betretenen Gesichtern vor die Presse und kritisierten die Entscheidung als „falsch und gefährlich für die Partei“. Stephan Brandner fordert deshalb „dringend und kurzfristig“ einen Bundesparteitag. AfD-Chef Tino Chrupalla spricht von den „großen Verdiensten“ Kalbitz‘, Björn Höcke von „Spaltung und Zerstörung der Partei“ und von „Verrat“. Eine glaubhafte Distanzierung von der extremen politischen Rechten sieht anders aus. Zumal auf die angekündigte Auflösung des vom Verfassungsschutz beobachteten „Flügels“ keine erkennbaren Taten gefolgt sind.


Die AfD wird sich nun entscheiden müssen: Wenn sie das Feigenblatt der Bürgerlichkeit, welches gerade gewaltig im Wind flattert, auch nur im Ansatz retten möchte, muss sie eine klare Trennung zur extremen Rechten vollziehen. Tut sie dies nicht, setzen sich Höcke und der Flügel durch. Dann ist die gesamte Partei endgültig ein Fall für den Verfassungsschutz. Der erste Punkt in dieser Frage geht an Kalbitz: Die Landtagsfraktion in Brandenburg hat ihm heute den Rücken gestärkt, lässt ihn Teil der Fraktion bleiben und hat dazu ihre Geschäftsordnung geändert. Auch das ist ein Signal.


„Wir sind Liberale und Konservative. Wir sind freie Bürger unseres Landes. Wir sind überzeugte Demokraten.“ heißt es in der Präambel des Grundsatzprogramms der AfD. Angesichts der aktuellen Ereignisse steht am Ende wieder Goethes Faust: „Die Botschaft hör´ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“

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