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„Der Blondine glaube ich alles“ – oder: Alternative Medien – eine unterschätzte Gefahr?


Vor einigen Wochen hat mich jemand angeschrieben. Er hätte da etwas im Internet gesehen. Angefügt war ein Link, der auf ein YouTube-Video einer „miriam_7_widerstand“ verwiesen hat. Der Inhalt: Sie hätte beim Warten auf den Zug und der Recherche mittels ihres Handys mehrere Skandale aufgedeckt. Einer davon: Die SPD besitzt Medienbeteiligungen. Nun wollte der Absender wissen, was es damit auf sich hat.


Ich teilte ihm mit, dass die SPD Inhaberin der Deutschen Druck- und Verlagsgesellschaft mbH (ddvg) ist, welche wiederum an mehreren Medienunternehmen beteiligt ist. Dabei handelt es sich, bis auf eine Ausnahme, um Minderheitsanteile. Ich schickte einen Link mit, über welchen man die Bilanzkennzahlen und Geschäftsberichte einsehen kann. Zudem verwies ich darauf, dass die Beteiligungen der Sozialdemokratie an Zeitungen bis in die Kaiserzeit zurückreichen, wo es keine andere Möglichkeit gegeben hätte, nach außen zu dringen. (In der Weimarer Republik gab es etwa 200 sozialdemokratisch geführte Verlagshäuser.) Ein weiterer Link führte zu einer Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, wonach auch andere Parteien Medienbeteiligungen unterhalten. Die AfD wiederum hat sich vom Deutschland-Kurier in den Wahlkämpfen durch kostenlose Extrablätter und großflächige Wahlwerbung unterstützen lassen. Ich verwies auf die öffentlich einsehbaren Rechenschaftsberichte der Parteien (ebenfalls mit Link), wo nachzulesen ist, was die SPD durch ihre Beteiligungen einnimmt und was vor allem die Union im Gegenzug an Großspenden aus der Wirtschaft erhält.


Als Antwort wurde mir ein „erbärmlicher Versuch“ unterstellt, eine „Sauerei zu rechtfertigen“. Gleichzeitig wurden alle von mir genannten Quellen als unseriös abgetan. Der Schreiber fühle sich ohnehin das ganze Jahr nur „verarscht“. Damit unterstellte er den genannten demokratischen Parteien, den öffentlich-rechtlichen Medien, der Bundestagsverwaltung, dem Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestags, den externen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die die Berichte der Parteien unabhängig prüfen, und der ddvg mit ihren veröffentlichten Bilanzkennzahlen unisono, dass sie die Unwahrheit behaupten. Stattdessen bezieht er sich auf die Informationen von Miriam Hudson, die allem Anschein nach, in seinen Augen als absolut seriös und glaubwürdig angesehen wird. Immerhin unterstützt er ihre Plattform gar mit einer Fördermitgliedschaft.


Gleichzeitig übersandte er mir einen neuen Video-Link. Ich habe tatsächlich reingesehen. Und war entsetzt. Da steht die blonde Mirjam auf einer Bühne wie ein Comedian („Ihr seid so ein super Publikum“). Und beginnt ihren Beitrag über den in Augsburg ermordeten Feuerwehrmann, nach einer lachenden Überleitung, damit, dass sie „eine Information von jemandem bekommen“ hat. Dann behauptet sie, dass von den „sieben Tätern… sechs schon wieder freigelassen worden sind und es ist nicht in die Medien gekommen“. Sie sei danach „fix und fertig gewesen“.


Hier wird den öffentlichen Medien ein Verschweigen und Vertuschen der Wahrheit unterstellt. Die Realität ist indes eine andere. Mal ganz abgesehen davon, dass ein Mensch bis zu seiner Verurteilung zunächst ein Tatverdächtiger ist, hat das Ganze natürlich seinen Eingang in die öffentliche Berichterstattung gefunden, wie allein folgende kleine Auswahl an Meldungen vom 23.12.2019 zeigt:

  • „Sechs Tatverdächtige aus der Untersuchungshaft entlassen“ – DER TAGESSPIEGEL

  • „Gewalttat in Augsburg: Sechs Verdächtige aus U-Haft entlassen“ – BR24

  • „Sechs Verdächtige nach Augsburger Tötungsdelikt aus U-Haft entlassen“, web.de

  • „Feuerwehrmann totgeprügelt: 6 Verdächtige freigelassen!“, RTL.de

  • „Nach Tod von Feuerwehrmann in Augsburg: Verdächtige aus U-Haft entlassen“, Redaktionsnetzwerk Deutschland

  • „Sechs Verdächtige nach Augsburger Tötungsdelikt aus U-Haft entlassen“, Abendzeitung

  • „Sechs Verdächtige nach Tötungsdelikt aus U-Haft entlassen“, Süddeutsche Zeitung

Der Vorwurf von Miriam Hudson ist somit schon auf den ersten Blick nicht haltbar. Den, von ihr skizzierten, Skandal gibt es de facto nicht. Neben der Kritik an den Medien, will sie gezielt Betroffenheit („Der Abend war gelaufen“) und Empörung („Was ist mit der Justiz los?“) erzeugen. Dabei hat allein das oben dargestellte Beispiel zur Berichterstattung gezeigt, dass sie es mit der von ihr doch so beschworenen Wahrheit allem Anschein nach nicht so genau nimmt.


Ein schlauer Mensch hat einmal gesagt: Das Schöne am Internet ist, dass jeder seine Meinung dort verbreiten kann. Das Schlechte daran ist, jeder tut es.


Man findet dort auch Beiträge, dass die Erde eine Scheibe sei, mit aufwändigen Begründungen. Und trotzdem würden die meisten Menschen wahrscheinlich behaupten, das ist Unsinn. Warum glauben dann so viele Miriam Hudson mit ihrem Bezug auf „jemanden“ und „die Person“ – ohne genauere Quellenangabe? Warum werden diese Beiträge unreflektiert ohne jedwede Kritik übernommen, obwohl eine einfache Internetabfrage den plumpen Populismus sofort offenbart?


Vermutlich, weil die Konsumenten die dargestellten Inhalte glauben wollen. Weil sie, warum auch immer, das Vertrauen in die öffentliche Berichterstattung, die Institutionen und am Ende gar in die Mehrheitsgesellschaft verloren haben. Vielleicht fühlen sie sich auch nicht wahr- bzw. ernstgenommen.


Das Video wurde bis jetzt mehrere Tausend mal angesehen. 215 Videos hat die dahinterstehende Plattform „Hallo Meinung“ ins Netz gestellt. 20.000 Menschen haben dieses alternative Medium abonniert. Nach eigenen Angaben hat es eine monatliche Beitragsreichweite bei Facebook von 3,5 Mio. und insgesamt 2,4 Mio. Videoaufrufe auf YouTube. Und solche medialen „Alternativen“ gibt es zuhauf.


Die Abkehr von der Mehrheitsgesellschaft und von den als „Lügen- oder Systempresse“ verschrienen Medien ist indes gefährlich. Es macht die wachsende Leserschaft immer weniger für Fakten und Argumente erreichbar und gleichzeitig noch zugänglicher für Populismus, Verschwörungstheorien, Stimmungsmache, Hetze und Hass. Im Zusammenspiel mit den Filterblasen sozialer Netzwerke, kann hier in einem bedrohlichen Maß eine Radikalisierung gefördert werden. Die Ergebnisse kann man in fast allen Kommentarspalten und zum Teil an Wahlergebnissen ablesen. Am Ende gehen der Gesellschaft und unserer Demokratie immer mehr Menschen verloren.


Zusammenfassung Das Misstrauen gegenüber Poltik, Medien und Institutionen wächst. / Alternative Medien gewinnen an Zulauf. / Fake News werden unkritisch übernommen, weil man es glauben mag. / Daraus erwächst eine Gefahr für die Demokratie.

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