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Zwischen Clickbaiting, Beifall und Lehrerbashing – die Wertigkeit von Berufen in Zeiten von Corona


Die Maßnahmen scheinen größtenteils zu greifen, der rückläufige Anstieg der Fallzahlen lässt Rufe nach (weiteren) Lockerungen laut werden. Hat die unter dem Eindruck der Bilder aus Italien und dem Elsass bestehende Angst vor dem Corona-Virus, zu einer hohen Akzeptanz der ergriffenen Maßnahmen und zu einer Welle der Solidarität in der Gesellschaft geführt, wird eben dieser Zusammenhalt nach und nach brüchig. Zu hoch ist die Belastung für einzelne – ökonomisch, wie auch psychisch -, zu ungewiss die weitere Entwicklung. Es ist eine schwierige, eine gefährliche Phase – birgt sie doch die Gefahr neuer Egoismen.


Brandgefährlich wird es dann, wenn man in dieser Phase zusätzlich spaltet und die Situation weiter mit Emotionen auflädt. Die Krise hat uns gezeigt, was oder wer wirklich wichtig ist. Plötzlich wurde die Bedeutung der Menschen vor allem in den medi­zinischen Berufen, aber auch im sozialen Bereich, in den Supermärkten, in der Logistik und vielen anderen mehr, deutlich. Es hat sich gezeigt, wer „den Laden am Laufen“ hält. Da macht es sich gut, im Bundestag Beifall zu klatschen oder einmalig einen Bonus auszuzahlen – und sei es auch nur in Sachleistungen. Das deckt sich mit dem momentanen Mainstream und hilft der eigenen Popularität. Den Betroffenen hilft es indes nichts. Sie brauchen nachhaltige Ver­änderungen – bei den Arbeitsbedingungen, wie auch bei der Vergütung. Die Corona-Fallzahlen sind rück­läufig, der Beifall verhallt, die ersten Klinikangestellten in Kurzarbeit. Zu sehr ist unser Ge­sund­heitssystem auf Auslastung angelegt, immer auch zulasten der dort Beschäftigten.


Nicht anders ist es im Bildungsbereich. Plötzlich werden alle Schulen geschlossen. Das bringt enorme Belastungen mit sich: Natürlich für die Eltern, wenn sie nicht in „systemkritischen“ Berufen arbeiten und die Notbetreuung nutzen können. Sie müssen seit Wochen sehen, wie sie ihre Kinder betreut bekommen – zwischen Beruf, Haushalt und/oder Homeoffice. Es be­lastet natürlich auch die Kin­der, die in ihrer sozialen Interaktion eingeschränkt sind. Aber auch die Lehrkräfte. Von einem Tag auf den anderen sollen Schüler digital beschult werden. Ohne dass es hierfür trag­fähige Konzepte, die technische Ausstattung oder eine belastbare digitale Infra­struktur gibt. Wie sollen die Vorgaben umgesetzt werden? Oftmals ist eine Grat­wan­derung im recht­li­chen Graubereich: Welche Kanäle kann und darf man für die Kommunikation mit Schü­lern nutzen? Wie sieht das mit dem Datenschutz aus? Welche Vorlagen von welchem Verlag dürfen digi­ta­li­sie­rt und online verwendet werden?


Nach mehreren Wochen Homeschooling hat sich stellenweise Routine eingestellt. Vieles hat sich geklärt. Vieles ist aber nach wie vor eine Belastung. Gerade bei vielen Eltern liegen die Nerven inzwischen nachvollziehbarerweise blank, Emotionen kochen hoch. Und doch ver­suchen alle das Beste aus der Situation zu machen.


Da ist es wenig hilfreich, wenn z.B. die ZEIT Clickbating durch Lehrerbashing betreibt: „Manche Lehrer haben noch nicht einmal einen funktionie­renden E-Mail-Verteiler eingerichtet. Manche Lehrer haben immer noch nicht verstanden, dass es in den meisten Familien einfach keine Drucker gibt.“ heißt es da. Oder: „Einmal pro Woche Aufgaben schicken, abtauchen, auf Signa­le von oben warten: Bitte, liebe Lehrer, nach fünf Wochen Schulschließungen darf es ein biss­chen mehr sein.


Ja, nicht jede Familie hat einen Drucker. In den meisten Familien hat nicht jedes Kind einen eigenen Computer. Oder aber die Eltern benötigen diesen nun für ihr eigenes Homeoffice. Nicht überall – gerade auf dem flachen Land – gibt es eine Breitbandversorgung, die eventuell auch eine Videokonferenz mit der Lehrkraft ermöglicht. Mit Sicherheit haben auch nicht alle Lehrer einen Verteiler eingerichtet.


Die Wahrheit ist aber auch: Viele Schüler melden sich nicht an, nutzen die Cloud-Lösungen oder Online-Portale nicht oder nur bedingt, geben zum Teil wochenlang keinerlei Feedback zu Ar­beits­aufträgen. Auch verfügen nicht alle Lehrkräfte an ihrem zum Pult gewordenen Schreib­tisch im Homeoffice über die erforderliche Übertragungsrate für Online-Konferenzen – im Übrigen nicht einmal alle Schulen. Die Lehrkräfte stehen aktuell schulartübergreifend vor der Herausforderung zusätzlich zur unterschiedlichen Leistungsfähigkeit und -bereitschaft ihrer Schüler auch noch deren Heterogenität in der technischen Ausstattung abfedern zu müssen. Sie erstellen neue Konzepte, arbeiten neue Unterlagen und Arbeitsaufträge aus, verschrift­lichen Lösungs­vorgaben oder korrigieren die zugesandten Antworten für jeden Schüler einzeln, was sonst vor und mit der ganzen Klasse mündlich gemacht wird. Die Arbeitsbelastung ist in vielen Fällen auch hier höher, der zeitliche Umfang größer. So leisten auch sie ihren ganz persönlichen Beitrag in der Krise.


Vielleicht sollte man auch das einmal thematisieren. In den Kommentarspalten der ZEIT hat sich – erwartungs- und wunschgemäß – eine heftige Diskussion entsponnen. Dies mag aus öko­nomischer Sicht für die Zeitung wichtig sein, sichern die Zugriffszahlen doch Werbeein­nah­men. Gesellschaftlich ist es verkehrt.


Die Corona-Pandemie offenbart schonungslos die Missstände in unserem Land. Sie zeigt auf, in welchen Bereichen in den letzten Jahren und Jahrzehnten – einem blinden Glauben an den Markt und neoliberalen Leitlinien folgend – Infrastruktur abgebaut oder kaputtgespart wurde: egal, ob in der Bildung, im Gesundheitswesen oder im Katastrophenschutz. Die Krise zeigt, dass es eben nicht reicht, öffentlichkeitswirksam Laptop-Klassen einzuführen und das als Digi­tali­sierung zu verkaufen. Dass es hierzu noch ganz anderer Maßnahmen und Investitionen bedarf. Verantwortlich hierfür sind allerdings nicht die jeweils dort Beschäftigten.


Wenn wir diese Missstände erkennen und uns nach der Krise – neben vielen anderen Aufgaben – daran machen, diese sukzessive abzubauen, dann haben wir etwas aus der Pandemie gelernt. Dann kann sie tatsächlich auch zur Chance werden. Verspielen wir diese, werden wir auch die nächsten Herausforderungen auf dem Rücken der Beschäftigten austragen – egal, in welchem Bereich.

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