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Dann wird es eben die GroKo. Ist doch klar - oder nicht?




Die Wahl ist vorbei und lässt die meisten von uns mit einem seltsamen Gefühl zurück: Und jetzt? Ratlos steht man vor dem Ergebnis, was der Wähler „der großen Politik“ mit auf den Weg gegeben hat. Wie ein Sieger sah am Wahlabend in der „Berliner Runde“ niemand aus. Betretene Gesichter. Nur um die Mundwinkel von Alice Weidel huschte manchmal dieses bekannte seltsame Grinsen, was sie jedoch schnell zu unterdrücken suchte.


Die spannende Frage ist nun: Wie geht es weiter? Jetzt, wo die FDP sich verzockt hat und aus dem Bundestag geflogen ist, das BSW sich vielleicht noch  hineinzuklagen versucht, die Union, Grüne und SPD hinter ihren Wahlzielen geblieben sind. Einig ist man sich, dass Deutschland eine stabile Regierung braucht. Zu groß sind die internationalen Herausforderungen, zu unberechenbar ein Donald Trump. Und zu drängend sind manche der Probleme im Inland.


Rechnerisch  existiert  eine Mehrheit für Union und AfD mit einem Überhang von 34 Mandaten. Eine GroKo aus Union und SPD hätte 12 Stimmen mehr als sie bräuchte – im Vergleich wäre das eher eine GroKo light. Eine kommode Mehrheit mit 97 Sitzen hätte hingegen eine Afghanistan- oder Kenia-Koalition aus Union, SPD und Grünen. Dazu meinte aber Markus Söder, dass „Deutschland-Koalition“ schon vom Namen her besser klänge. Also Union, SPD und FDP. Dumm nur, dass letztere eben nicht mehr im Bundestag sitzt.


Also gut. Machen wir es kurz: Eine Koalition mit der AfD hat die Union ausgeschlossen. Mit den Grünen will Söder partout nicht. Dann wird es eben die GroKo. Das entspräche ja auch dem Willen der Menschen im Land. 48 Prozent fänden eine GroKo gut, Kenia hingegen nur 21 Prozent. Dann ist ja alles klar. Punkt. Fertig.


So einfach ist es dann aber doch nicht. Merz ist bis kurz vor der Wahl förmlich durch den politischen Porzellanladen getrumpelt. Erst die Abstimmung mit der AfD, eine Zäsur in der Geschichte des bundesrepublikanischen Parlamentarismus. Und dann wurde bis zum Schluss gepöbelt und beleidigt: „Links ist vorbei! Es gibt keine linke Mehrheit und keine linke Politik mehr in Deutschland. Es ist vorbei!“ Er wolle Politik machen für diejenigen die „noch alle Tassen im Schrank haben […] und nicht für irgendwelche grünen und linken Spinner!“.


Und genau diese linke SPD soll der Union  nun eine Mehrheit sichern? So wie schon 2017, als sich die FDP um Lindner („Besser nicht regieren, als falsch!“) in die Büsche geschlagen hat und die SPD schon einmal in die Bresche gesprungen ist? Und wie hat die Union es gedankt? Sie hat sich, als die Ampel – von der FDP nachweislich geplant sabotiert – zerbrochen ist, in absoluter Blockadehaltung geübt. Hat wichtige Beschlüsse, wie zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) blockiert und gleichzeitig der Restregierung um Olaf Scholz Untätigkeit vorgeworfen. Ebenso hat sie mit dem dogmatischen Festhalten an der Schuldenbremse und dem Gang nach Karlsruhe erst die Regierungskrise ausgelöst, welche man als den Anfang vom Ende der Ampel ansehen kann. Söder macht die Rücknahme der Wahlrechtsreform zur Bedingung. Eine Reform, die sie zuvor selbst nicht auf den Weg brachten, die aber dringend nötig war, um die immer weiter wachsende Zahl an Abgeordneten einzudämmen. Merz besteht weiter auf einen radikalen Kurswechsel in der Migrationspolitik, was zum Teil gegen unsere Verfassung und/oder internationale Abkommen verstoßen würde, und in der Wirtschaftspolitik. Hier sollen insbesondere Unternehmen und Besserverdienende entlastet werden. Das Programm der Union weist dabei eine Lücke von knapp 100 Mrd. Euro auf, Gegenfinanzierung fraglich. Es gibt „keine linke Politik mehr in Deutschland!“


Am Wahlabend spricht Merz dann plötzlich den Mitbewerbern seinen Respekt aus. Man müsse jetzt auch wieder miteinander reden. Söder stellt fest, dass die SPD eine Partei ist, „die aus ihrer Gründungsidee heraus schon immer Verantwortung übernommen hat – auch in schweren Zeiten.“ Und dann wünscht sich Söder „eine Regierung, wo auch die Bevölkerung wieder mehr Respekt hat. Denn die Art und Weise wie wir in den letzten Jahren in Deutschland über Regierung, Autorität, auch über die Arbeit, die geleistet wird, geredet haben und gespürt haben, wie geredet wird, hat zum enormen Verfall auch der demokratischen Sitten geführt. Vielleicht ist es jetzt auch eine Chance da einen Neuanfang zu machen und einen neuen Weg zu beschreiten.“ Ach was!


Ich übersetze platt: Jetzt, wo wir regieren werden, wollen wir bitte nicht so beschissen behandelt werden, wie wir es die letzten Jahre mit den anderen gemacht haben. Söder fordert jetzt Respekt. Der Söder, der Dinge sagte wie: „Die Grünen machen so viel Mist, eigentlich müssten sie selbst unter die Düngeverordnung fallen!“ Oder: „Die Ampel ist nichts anderes als eine Kiffer-Connection.“ Oder: „Was unterscheidet meinen Hund Molly von Kevin Kühnert und Ricarda Lang? Mein Hund hat eine abgeschlossene Ausbildung.


Gestern noch linke Spinner, heute ebendiese umwerben. Gestern noch selbst lautstark pöbeln, heute Respekt einfordern. Gestern noch Verweigerung der Zusammenarbeit, heute stabile Regierung fordern. Gestern Reform der Schuldenbremse blockieren, heute ebendiese Reform noch mit der alten Regierung umsetzen wollen. Damit hat die Union übrigens schon ein Wahlversprechen gebrochen, bevor man sich überhaupt das erste Mal an den Verhandlungstisch gesetzt hat.


Wie sollen aber solche Verhandlungen aussehen? Was kann die Union gesichtswahrend und mit einer starken hämisch-zähnefletschenden AfD im Nacken der SPD anbieten? 15 Euro Mindestlohn? Undenkbar. Stabile Renten, Mietpreisbremse, Entlastungen für die Mehrheit der Bevölkerung? Nicht bezahlbar. Soll die SPD sich am Ende für eine Verlängerung des Deutschlandtickets verkaufen?


Inhaltlich dürfte es schwer werden. Am Ende bleiben  Erpressung und öffentlicher Druck. Die Medien werden die SPD jetzt förmlich in eine GroKo hineinschreiben. Die Union wird – hinter vorgehaltener Hand – mit der AfD drohen. Und damit, die SPD mal wieder als „vaterlandslose Gesellen“ zu brandmarken. Sie glauben, ich übertreibe? Ich halte das für ein realistisches Szenario. Wie sonst passt es ins Bild, dass Friedrich Merz und seine Fraktion einen Tag nach der Wahl nichts Wichtigeres zu tun hat als in einer Kleinen Anfrage an die geschäftsführende Regierung mit 551 (!) Fragen Druck auf Organisationen auszuüben. „Hintergrund sind Proteste gegen die CDU Deutschlands, die teils von gemeinnützigen Vereinen oder staatlich finanzierten Organisationen organisiert oder unterstützt wurden,“ heißt es in der Einleitung.


Wer es also wagt, nach dem Paktieren der Union mit der AfD, oder aus inhaltlichen Gründen Kritik zu üben, riskiert seine Gemeinnützigkeit. Das ist die Botschaft. Adressaten sind die CORRECTIV gGmbH, Omas gegen Rechts Deutschland e.V., Campact e.V., der Attac Trägerverein e.V., die Amadeu Antonio Stiftung, Peta Deutschland e.V., Animal Rights Watch e.V., Foodwatch e.V., Dezernat Zukunft e.V., Deutsche Umwelthilfe e.V., Agora Agrar gGmbh, Agora Energiewende gGmbH, Greenpeace e.V., BUND e.V., Netzwerk Recherche e.V., Verein Neue Deutsche Medienmacher*innen e.V. und die Delta 1 gGmbH.


Dem CORRECTIV haben wir es u.a. zu verdanken, dass das Wannsee-Treffen der AfD aufgedeckt wurde. Die Omas gegen Rechts organisieren bundesweit Demos gegen Rechtsextremismus und für unsere Demokratie. Das was Merz und Co. hier machen ist ein Angriff auf unsere Zivilgesellschaft à la Trump – nichts anderes!  Es ist der Versuch, (potenzielle) Kritiker einzuschüchtern oder mundtot zu machen.


Wie soll auf einer solchen Basis eine vertrauensvolle Zusammenarbeit aussehen? Sollte die SPD in eine GroKo eintreten, wird sie Mitglieder verlieren. Trägt sie dann den radikalen Kurs von Merz bei Wirtschaft und Migration mit, wird sie Mitglieder verlieren. Verweigert sich die SPD in Einzelfragen, wird Merz sich die Mehrheiten mit der AfD suchen – zumindest aber den Koalitionspartner damit erpressen. Sollte am Ende die Koalition platzen, wird man die SPD für das Scheitern verantwortlich machen. Verweigert sich die SPD aus verständlichen Gründen einer Koalition, wird man ihr vorwerfen, sie stehle sich aus der Verantwortung. Dies, medial begleitet, kostet auch Mitglieder und/oder Zustimmung bei dann möglicherweise erforderlichen Neuwahlen. So gesehen hat die taz Recht, als sie auf ihrem jüngsten Titel mit einem SPD-Parteibuch unter der Überschrift „Die Arschkarte“ aufmacht und darauf abstellt, dass die SPD mit Merz wird koalieren müssen, um eine „üble Alternative“ zu verhindern. Danken wird man es den Sozialdemokraten nicht.


Vielleicht wäre die Zeit aber auch reif für die erste Minderheitsregierung in Deutschland. Dann müsste Merz sich seine Mehrheiten suchen. Im sozialen  Bereich kann er auf die Unterstützung der SPD und Linken setzen, bei ökologischen Fragen auf die Grünen und bei bestimmten Themen auf die AfD – wenn er das will. Und dann könnten sich die Wähler ein neues Bild machen.


Sollte die SPD in eine GroKo gehen, dann gäbe es in meinen Augen jedoch eine zentrale Forderung, die von der Union erfüllt werden müsste: die Verankerung des AfD-Verbotsantrags im Koalitionsvertrag. Dieser hätte eine parlamentarische Mehrheit, wenn die Union mitstimmen würde. Es wäre ein wichtiges Zeichen an die Zivilgesellschaft, an die Hunderttausenden, die sich um unsere Demokratie sorgen – und auch an die AfD! Und die SPD würde ihrer wichtigsten, historischen Verantwortung gerecht, der Verantwortung für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Denn noch haben wir eine Demokratie, die wehrhaft wäre. Und bevor jetzt alle AfDler zu schäumen beginnen: Wie heißt es aus der Law-and-Order-Ecke immer? Wer nichts zu verbergen hat, braucht sich nicht zu fürchten.


Es kommen spannende Wochen auf uns zu. Der Ausgang ist ungewiss. Sollte am Ende die SPD doch in eine GroKo eintreten, dann wird sie dies aus ihrer bekannten staatspolitischen Überzeugung heraus tun, die lautet: Erst das Land, dann die Partei!


Aber dann darf man ihr nicht vorwerfen, dass sie Kompromisse eingehen muss, um Schlimmeres zu verhindern – und auch nicht, dass sie nicht die reine Lehre dessen umsetzen kann, was sie vor der Wahl versprochen hat.

 

 

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oliver jauernig | dozent | autor | blogger

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