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Tanz auf dem Vulkan - die zweite Corona-Welle ist da

Die Herausforderungen durch die Corona-Pandemie werden größer - gleichzeitig wächst der Widerstand gegen die Maßnahmen und schwindet das Vertrauen in die Entscheidungsträger. Kann der Tanz auf dem Vulkan gelingen?


Die Zahlen sind alarmierend. In 262 Landkreisen und kreisfreien Städten steht die Corona-Ampel aktuell auf „rot“, d.h. dort liegen 7-Tage-Inzidenzen vor, die mehr als 50 Fälle je 100.000 Einwohner ausweisen. Das sind 21 Körperschaften mehr als gestern. Acht der ausgewiesenen Regionen haben sogar Werte von mehr als 200. In 53 Kreisen und Kommunen zeigt die Ampel „gelb“, in 87 „grün“. Vor einer Woche noch lag die Zahl der Gebiete mit einer Inzidenz von weniger als 35 Fällen bei 223. Es ist somit das eingetreten, wovor Experten wie Christian Drosten oder Karl Lauterbach (der übrigens nicht nur Politiker, sondern auch Gesundheitsökonom und Epidemiologe ist) schon vor Wochen gewarnt haben. Bundesweit liegt der Durchschnitt mit 86,2 damit bereits circa doppelt so hoch wie zur Zeit des Lockdowns. Natürlich wird aktuell auch mehr getestet. Aber die Zahl der Tests ist in den vergangenen fünf Wochen bundesweit nahezu konstant geblieben, wohingegen die Fallzahlen überproportional gestiegen sind.


In vielen Ländern Europas ist die Lage inzwischen nahezu außer Kontrolle. Spanien mit einem Wert von 233,4 hat den nationalen Notstand ausgerufen, in Frankreich (360,3) wurden heute 52.000 neue Fälle gemeldet. In Belgien selektieren Ärzte inzwischen wieder, wer ein Intensivbett erhält und wer nicht. Dort ist der Inzidenzwert auf 658,0 gestiegen. Erste Patienten wurden bereits nach Deutschland ausgeflogen, was aktuell noch möglich ist. Am dramatischsten ist die Situation in Tschechien. Dort ist der Wert im Landesdurchschnitt auf 790,7 angestiegen. In den letzten sieben Tagen wurden über 84.000 neue Fälle registriert. Das Land erhält nun Intensivbetten aus einer europäischen Reserve. Die Regierungen reagieren mit nächtlichen Ausgangsbeschränkungen und schränken das öffentliche Leben massiv ein. In Tschechien herrscht den ganzen Tag ein Ausgangsverbot. Österreich befürchtet einen Zusammenbruch des Gesundheitssystems (wie auch Spanien, die Niederlande, Belgien und Tschechien) und erwägt einen zweiten Lockdown.


Bei uns im Land scheint die Lage aktuell (noch) beherrschbar, aber die Anzeichen einer Verschlechterung mehren sich. Auch bei uns steigt die Zahl der intensivmedizinisch betreuten Covid-Patienten stetig. Anfang Oktober lag die Zahl noch bei 362, Stand heute sind es bereits 1.362 Personen, wovon fast jeder Zweite (46 Prozent) invasiv beatmet werden muss. Auch bei uns sind bei fortschreitender Entwicklung zumindest lokale Engpässe nicht auszuschließen. Aktuell stehen Inklusive der geschaffenen Notfallreserve bundesweit noch rund 21.000 Intensivbetten zur Verfügung. Es ist jedoch nicht unwahrscheinlich, dass das Personal (gerade auch, wenn es im Bereich des Klinikpersonals zu Erkrankungen kommt) zum limitierenden Faktor für die Intensivversorgung werden kann.


Wir haben die erste Welle, den ersten Lockdown, insgesamt gut gemeistert. Mit viel Geld, vor allem aber mit großer Geschlossenheit, Solidarität und Disziplin. Doch genau diese letztgenannten Punkte sind in den vergangenen Monaten sukzessive verloren gegangen. Stattdessen erleben wir eine wachsende Gemeinde an Corona-Kritikern. Natürlich kann man getroffene Maßnahmen und Entscheidungen kritisieren. Das ist ein demokratisches Grundrecht. Was wir jedoch erleben, ist eine sich immer stärker radikalisierende Szene. Die Gemengelage aus Corona-Leugnern, „Querdenkern“, selbsternannten „Freiheitskämpfern“ und was man sonst so darunter findet, wird zunehmend aggressiver und gewaltbereiter.

Dabei zeigt doch gerade die Tatsache, dass in der aktuellen Situation immer noch Tausende Menschen wie am Wochenende in Berlin und unzähligen anderen Städten auf die Straße gehen und gegen die Maßnahmen demonstrieren dürfen, dass der Vorwurf einer Diktatur absurd ist. Dass die Demonstranten dabei zumeist gegen Auflagen verstoßen, kaum Abstände einhalten und keinen Mund-Nasen-Schutz tragen, mag man im allerbesten Fall noch als Unvernunft und Leichtsinn abtun.


Wenn diese sich aber den Anweisungen der Polizei widersetzen, Polizeiabsperrungen durchbrechen und Einsatzkräfte attackieren – am Ende sogar eingesetzte Polizeibeamte einkesseln – dann sind gleich mehrere rote Linien überschritten. Wenn in Minden eine Puppe mit der Aufschrift „Covid Presse“ an einer Brücke „erhängt“ wird, wenn ein Brandanschlag auf das Robert-Koch-Institut verübt wird, wenn politische Entscheidungsträger mit dem Tod bedroht werden, wenn in den sozialen Netzwerken die Hetze immer weiter überhandnimmt, wenn Corona-Teststationen angegriffen werden, wenn Mitarbeiter des Ordnungsamtes in Jena für ihre Arbeit Polizeischutz benötigen, wenn im Landratsamt in Augsburg bewaffnete Polizisten die Sitzung des Kreisausschusses abschirmen müssen, wenn Menschen körperlich angegriffen und verletzt werden, nur weil sie andere auf die Maskenpflicht hinweisen, oder wenn Menschen angepöbelt und attackiert werden, nur weil sie selbst einen Mund-Nasen-Schutz tragen, dann zeigt dies, dass die Situation zu entgleiten droht.


Es zeigt, dass der gesellschaftliche Grundkonsens, welcher uns durch die erste Phase im Frühjahr geholfen hat, mehr als brüchig geworden ist. Dass es eine wachsende Gruppe an Menschen gibt, die nicht (mehr) bereit ist, sich für das Gemeinwohl und zum Schutz anderer einzuschränken. Die für Ratschläge und Maßnahmen aus Politik und Wissenschaft (!) nicht mehr zugängig sind. Die sich als „zweite Welle“ inszenieren und letzten Endes mit ihrem Verhalten genau diese befeuern.


Dass diese Radikalisierungsprozesse in so kurzer Zeit erfolgen konnten, muss zu denken geben. Und dabei lasse ich die Schnittmengen mit rechtsextremistischen Gruppierungen, Reichsbürgern und QAnon-Anhängern noch außen vor. Zu dieser Entwicklung beigetragen haben dürfte mit Sicherheit auch der stattgefundene Überbietungswettbewerb verschiedener Bundesländer bei Maßnahmen während der ersten Welle und bei der Lockerung derselben als diese abgeebbt ist. Auch die täglich ändernden Beschränkungen für Urlauber und Reisende und viele zum Teil widersprüchliche oder permanent wechselnde Bestimmungen haben mit Sicherheit die Akzeptanz für die getroffenen Entscheidungen schwinden lassen.

Wenn wir einen zweiten Lockdown verhindern wollen, dann müssen wir zurückfinden zu einem geordneten Gleichklang zwischen den Bundesländern anstelle des aktuellen Kanons. Und die Entscheidungen müssen dann transparenter und nachvollziehbarer getroffen und begründet werden als dies aktuell der Fall ist. Nur dann kann wieder neues Vertrauen in die handelnden Akteure entstehen. Und wir müssen der lautstarken Minderheit (das ist sie trotz des gezeigten Wachstums) widersprechen und sie in ihre Grenzen weisen. Sollte dies nicht gelingen, werden wir – mit zeitlicher Verzögerung – das erleben, was bei vielen unserer europäischen Nachbarn bereits heute Realität ist. Es bleibt ein Tanz auf dem Vulkan.

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