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Der Wahlkrimi vom 26. September – eine Analyse

War das ein spannender und packender Wahlabend! Ein Abend, der zwar einige Fragen be­ant­­wortet, vieles jedoch noch offengelassen hat. Die kommenden Wochen dürften somit nicht minder spannend verlaufen. Eine Gewinnerin des Abends kann man auf jeden Fall fest­hal­ten: unsere Demokratie. Die Wahlbeteiligung ist im Vergleich zu 2017 noch einmal leicht gestiegen, auf 76,6 Prozent. Das ist ungeachtet, der Stimmenverteilung auf die einzel-nen Par­teien auf jeden Fall ein Gewinn.


Nun eine Einschätzung zu den einzelnen (im Bundestag vertretenen) Parteien – in der Rei­hen­folge ihres Wahlergebnisses:


Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) – 25,7 Prozent:

Die SPD hat die Wahl gewonnen. Auch wenn es manchen Medien und den Mitbewer-ber:innen nicht gefallen mag: die 25,7 Prozentpunkte haben die Partei zur stärksten Kraft werden lassen. Wenn man bedenkt, dass die Partei seit der letzten Wahl zwischenzeitlich in den Umfragen auf 12 Prozent gefallen war, ist dies ein beachtliches Ergebnis. Im Vergleich zur letzten Wahl haben die Sozialdemokrat:innen 5,2 Prozentpunkte zugelegt. Das ist noch weit entfernt von alter Stärke, das „Tal der Tränen“ wurde jedoch verlassen. Scholz und die SPD haben einen soliden Wahlkampf geführt, sich nicht provozieren lassen – selbst dann nicht als man dem Kandidaten eine fragwürdige „Razzia“ im Finanzministerium anhängen wollte – und die Partei trat in fast schon unge­wohn­ter Geschlossenheit auf. Auch das hat mit Sicherheit zum guten Abschneiden beigetragen. Grund zum Höhenflug ist es indes nicht, hat die SPD doch auch deutlich von den Fehlern der Union und der Grünen profitieren können – und ein Stück weit auch vom geltenden Wahl­sys­tem, welches der Partei mancherorts noch ein paar Ausgleichsmandate bescherte. Die SPD ist wieder da? Ja, mit Sicherheit. Aber sie muss dennoch ihre Hausaufgaben machen. Hilfreich mag es sein (auch wenn das einige anders sehen werden), dass es am Ende für die von vielen gewünschte und erhoffte Regie-rung aus Rot-Grün-Rot nicht gereicht hat. Dies erspart der Partei nun viele Diskussionen. Die Frage, „Ampel“ oder „RGR“ wäre sonst mit großer Wahrscheinlichkeit eine ernste Belas-tungsprobe für die innere Disziplin geworden. Eine „GroKo“ wäre der eigenen Anhän-ger:innenschaft vermutlich nicht mehr zu ver­mitteln. Die Sozialdemokrat:innen hatten eine solche Neuauflage deshalb im Vorfeld ausge­­schlos­sen. Es bleibt für Scholz und die SPD so-mit nur die „Ampel“ mit den Grü­nen und der FDP. Letztere werden zugleich von Laschet und der Union umworben. Diese wer­den am Ende zu den „Kanzlermachern“. Nicht auszuschließem, dass Scholz als „Kanzler der Herzen“ vom Platz geht und Oppositionsführer wird.


Christlich Demokratische Union (CDU) – 18,9 Prozent:

Mit Verlusten von 7,9 Prozentpunkten hat die CDU ihr historisch schlechtestes Ergebnis ein­ge­fahren. Zu groß die vermeintliche Gewissheit, dass die Kanzlerschaft eine Art Erbhof ist, der an den nächsten Kandidaten übergeben wird. Zu dünn die inhaltlichen Konzepte. An­kün­di­gungen, dass man in den ersten einhundert Tagen nach der Wahl konkrete Maßnah-men vor­stellen werde, haben in einigen Bereichen nicht überzeugen können. Wer kauft schon gerne die Katze im Sack? Hinzu kommen handwerkliche Fehler und Unbeherrschthei-ten des Kandi­da­ten. Ein Lachen, während der Bundespräsident der Opfer der Flutkatastro-phe gedenkt, ist in Zeiten von Social Media verheerend – und nicht mehr einzufangen. Das eilig zusam­men­ge­packte „Zukunftsteam“ mit Ladenhüter Friedrich Merz und Dorothee Bär, welche auch künftig für Digitalisierung zuständig sein soll, konnte nicht überzeugen. Auch deshalb nicht, weil La­schet im selben Atemzug anmerkte, dass man in der Digitalisierung eben nicht so weit ist, wie man sein müsste. (Zu) viele Spitzen gegen Laschet aus der Reihe der CSU, welche lieber Söder als Kandiaten gesehen hätte, taten ihr Übriges. Die Pannen-serie hielt bis zum Wahltag, als der Kandidat für Schlagzeilen sorgte, weil er seinen Stimm-zettel so faltete, dass die Stimmabgabe erkennbar gewesen ist. Hinzu kommt eine „Links-ruck“-Kampagne, welche am Ende jedes Maß verloren hatte. CDU-General Blume warnte davor, dass selbst die Wahl der FDP den Linksruck befördern würde. Es hatte viele Gründe, warum die Union als Zweite aus der Wahl gegangen ist. Dass die Union sich versucht, das Ergebnis schön zu reden, da man den besagten „Linksrutsch“ erfoglreich verhindert habe, ändert nichts an den Tatsachen. Es zeigt vielmehr, dass es in erster Linie um Ideologie ging, nicht um Inhalte oder darum eine arbeitsfähige Regierung zu bilden. Und es hilft auch nicht, dass La­schet trotzig das Kanzleramt für sich beansprucht. Auch wenn er am Tag nach der Wahl hier etwas zurückgerudert ist. Seine CDU und die Schwester CSU sind die klaren Verlierer der Bun­des­tags­wahl. Und trotzdem könnte es ihm noch gelingen, der nächste Kanz­ler zu werden, wenn die Union es doch noch schaffen sollte, Grüne und Freidemokrati:innen in eine Viererkoalition zu lo­cken.


BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Grüne) – 14,8 Prozent:

Die Grünen sind die zweiten großen Gewinner:innen dieser Bundestagswahl. Mit einem Plus von 5,8 Prozentpunkten hatten sie die stärksten Zugewinne zu verzeichnen. Gleichwohl ist man hinter den eigenen Erwartungen zurückgeblieben. Wie bei der Union war es auch bei den Grünen die Spitzenkandidatin, welche mit Schlagzeilen um ihren Lebenslauf und Pla-giats­vor­wür­fen vermutlich ein besseres Abschneiden verhinderte. Diese Themen bzw. diese Vorwürfe boten unnötige Angriffsfläche. So wurde vor allen Dingen Annalena Baerbock Ziel von At­ta­cken und Beleidigungen in den sozialen Netzwerken. Die eigentlichen Inhalte und das Thema Klimawandel traten, trotz einer hohen Priorisierung bei den Wähler:innen, in der Konsequenz zunehmend in den Hintergrund. Größtes Problem der Grünen dürfte jedoch die Doppelspitze aus Baerbock und Habeck gewesen sein – oder vielmehr eine nicht eindeutige Rollenvertei­lung. So schwang im Wahlkampf immer ein „Vielleicht wäre Habeck doch besser gewesen“ mit. Nichtsdestotrotz werden die Bündnisgrünen in der kommenden Regierung eine wichtige Rolle spielen. Vermutlich zusammen mit der FDP. Fraglich ist nur, ob mit der SPD oder der Union. Das dürfte zu internen Diskussionen und Spannungen führen. Mag die Führung vielleicht noch mit einer möglichen Bundespräsidentin Göring-Eckardt zu ködern sein, lehnt die Basis „Ja­mai­ka“ deutlich ab. Denkbar wäre, dass diese Diskussion auch zu Veränderungen an der Par­tei­spitze führt.



Freie Demokratische Partei (FDP) – 11,5 Prozent:

Christian Lindner hat es geschafft. Er hat seine Freidemokrat:innen nicht nur konsolidiert, sondern mit einem 0,7-Prozentpunkte-Zuwachs auch zum Zünglein an der Waage gemacht. An ihm und seiner Partei kommt nun keiner vorbei. Problematisch ist hier, die vorzeitige Festlegung auf und deutliche Präferenz für eine „Jamaika“-Koalition. Fast war es schon un­an­ständig, wie Lindner in der Berliner Runde Laschet umgarnte. Was, wenn eine solche Koalition an den Grünen scheitern würde? Anders als 2017 steht Lindner diesmal unter dem Zwang sich an einer Regierung zu beteiligen. Ein erneutes „Lieber nicht regieren als schlecht regieren“ wür­den ihm seine Partei, vor allem aber die Wähler:innen nicht mehr durchgehen lassen. Was vor vier Jahren noch ein strategischer Zug hätte gewesen sein können, würde diesmal als Verant­wortungslosigkeit angesehen. Zu sehr hatte die FDP im Vorfeld betont, man sei bereit eben diese Verantwortung zu übernehmen. Also wird man über Inhalte reden müssen, wird viele Gespräche führen. Dann müssen die Freidemokrat:innen, dann muss auch Lindner, klar Farbe bekennen. Da reicht es dann nicht mehr groß sein Konterfei mit dem Slogan „Es darf nicht bleiben, wie es ist“ in die Welt zu tragen. Das ist das Dilemma, in welches Lindner seine Partei manövriert hat: Einerseits ist man sich seiner Position und Stärke bewusst, andererseits steht man unter dem Zwang, dieses Mal „liefern“ zu müssen.


Alternative für Deutschland (AfD) – 10,3 Prozent:

Die AfD gehört ebenfalls zu den Verlierer:innen des Wahlabends. Minus 2,3 Prozentpunkte stehen am Schluss im vorläufigen amtlichen Endergebnis. Da hilft es nicht, dass Alice Weidel abends bei Ingo Zamperoni versucht, sich als vermeintliche Gewinnerin darzustellen: „Um uns wird man nicht mehr herumkommen.“ Es ist, wie so oft, einfach gelogen. Die Partei hat verl­o­ren. Keine der anderen Fraktionen wird auch nur Gespräche bezüglich einer möglichen Zu­sam­menarbeit, geschweige denn Koalition, mit der „Alternative“ suchen. Selbst im Par­tei­vor­stand war man sich, einen Tag nach der Wahl, uneins über die Interpretation des Ergeb-nisses. Dabei hat das Abschneiden der AfD mehrere Punkte verdeutlicht: In Sachsen und Thüringen ist die Partei eine Hausmacht, mit jeweils rund 24 Prozentpunkten. Insgesamt betrachtet, ist sie jedoch auch hinter ihren Erwartungen zurückgeblieben. Das liegt zum einen daran, dass die AfD keine Lösungen zu den aktuellen Problemen anbieten kann. Das Leugnen der Pan­de­mie und des Klimawandels haben in der Gesamtschau nur eine Stamm-wähler:innenschaft von rund 10 Prozent mobilisiert. Diese wählen die Partei auch nicht trotz, sondern vermutlich wegen ihrer permanenten Provokationen und dem Versuch, den demo-kratischen Prozessen in unserem Land zu schaden. Auch das Narrativ der Corona-Diktatur hat nicht mehr in dem Maß verfangen, wie gedacht, zu sehr sind die getroffenen Maßnah-men zwischenzeitlich wieder gelockert worden. Zudem gibt es mit der Partei „Die Basis“ einen Mitbewerber im Ringen um diese Klientel. Die AfD wird nun also die vermutlich lange Phase der Sondierungen und Koalitionsverhandlungen nutzen, um wie bisher gegen „die Etablierten“ (deren Teil sie ja faktisch seit ihrem Wiedereinzug geworden ist) Stimmung zu machen. Und sie wird darauf warten, dass sie mit möglichen Flüchtlingen aus Afghanistan, die hier vielleicht in wenigen Monaten auf dem Landwege eintreffen werden, oder mit einer neuen Verschlechterung der Pandemielage, neues Wasser auf ihre gerade etwas langsamer drehenden Mühlen des Populismus gelangt.


Christlich-Soziale Union in Bayern e.V. (CSU) – 5,2 Prozent:

Wenn selbst die BILD-Zeitung von einem „Debakel für Söder“ spricht, muss es arg sein. Und tat­sächlich haben die Christsozialen das schlechteste Ergebnis seit 1949 auf der Bilanz ste-hen. Dass sie bundesweit im Schnitt einen Prozentpunkt verloren haben, ist arg. Vor allem, wenn man es auf die Landeswerte umrechnet. Da steht dann ein Minus von 7,1 Prozent-punkten und ein Ergebnis von 31,7 Prozent. Klar, das ist ein Wert, von welchem andere Par-teien gerade zu träumen würden. Aber für eine Partei, deren Selbstverständnis bei 50 Pro-zent plus X steht, ist das ein Absturz. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Partei unter dem Strich nur einen Sitz verloren hat, hatte sie doch bis auf den Wahlkreis München-Süd, der an die Grünen gefallen ist, alle Direktmandate geholt. Dennoch fordern nun Teile der Werteunion Söders (und Laschets) Rücktritt. Das wird zumindest im Falle des bayerischen Ministerpräsidenten nicht geschehen. Aber sicher ist schon, dass die permanenten Stiche-leien gegen den Unions-Kandidaten für das Abschneiden von CDU und CSU nicht hilfreich waren. Am Ende hat Söder in seiner Absicht zu zeigen, dass er der bessere Kandidat gewe-sen wäre, schlicht überzogen. Un­verständlich ist nach dem Mautdebakel auch das stoische Festhalten an Verkehrsminister Scheuer geblieben. Die Erfolge von Staatsministerin Bär im Bereich der Digitalisierung blieben ebenfalls übersichtlich. Am Ende forderte Söder eine Er-höhung der Mütterrente, was von Laschet gleich wieder einkassiert worden ist. Geschlos-senheit sieht anders aus. Auch die im­mer aggressivere Neuauflage der „Rote-Socken-Kam-pagne“, das Keulen gegen Rot-Grün-Rot und am Ende auch gegen die FDP, hat manche:n unentschlossene:n Wähler:in wohl eher ab­ge­schreckt. Auch in der CSU wird es nach diesem Abschneiden mit Blick auf die Landtagswahl 2023 so manche Diskussion geben.


DIE LINKE – 4,9 Prozent:

Last, not least, DIE LINKE. Sie ist neben der Union die zweite große Verliererin der Bun­des­tags­wahl. Mit einem Minus von 4,3 Prozentpunkten hat sie sich im Ergebnis nahezu halbiert. Ohne die Direktmandate von Gregor Gysi und Gesine Lötzsch in Berlin und Sören Pellmann wäre die Partei komplett aus dem Bundestag geflogen. So hat sich die Zahl ihrer Mandate um 30 auf nunmehr 39 reduziert. Ein dramatischer Ausgang. Der Linken wurde unter ande-rem die in­ter­nen Querelen zum Verhängnis. Manche Aussagen und Auftritte von Sara Wa-genknecht haben der Partei einen Bärendienst erwiesen. Gleichzeitig schienen manche der Wahl­ver­spre­chen, die Wähler:innen nicht zu überzeugen. Möglich, dass vieles am Ende als zu unrealistisch oder nicht umsetzbar erschien. Das Hauptproblem dürfte jedoch sein, dass DIE LINKE von vielen nicht mehr als die Partei der neuen Bundesländer wahrgenommen wird. Sie schafft es in den Großstädten eine urbane, linke Anhänger:innenschaft zu mobi-lisieren – auf dem flachen Land hat sie diese Anziehungskraft (nicht selten ausgerechnet an die AfD) verloren. Nachdem es rein rechnerisch nicht für ein rot-grün-rotes Bündnis reicht, ist der Partei zumindest die Diskussion erspart geblieben, ob man weiter an bestimmten inhalt-lichen Dogmen festhalten möchte oder doch in einer Regierungskoalition das Land ge­stal­ten. Auch das hätte zu einer echten Zerreißprobe werden können. Umso mehr sollte sich die Partei erst einmal mit sich selbst befassen: Das Ergebnis sacken lassen und dann in Ruhe überlegen, welche Schlüsse daraus zu ziehen sind. Vielleicht ist eine der Konsequenzen, dass man stärker die Konservativen als politischen Hauptgegner ansieht und nicht die Sozialde-mokratie. Bei letzterer wird man nie müde, ihr Versagen, Verrat, die Hartz-IV-Gesetzgebung und zum Teil auch noch die Kriegskredite von 1914 vorzuwerfen. Immer nach dem Motto: „Wer hat uns verraten…“. Die Frage ist, mit wem die Partei sonst eine realistische Chance auf eine Regierungsbeteiligung sieht.


Fazit

Es war eine besondere Wahl am gestrigen Sonntag. Mit dem 26. September wird die Politik in Deutschland „bunter“, die möglichen Farbspiele der möglichen Koalitionen umfangrei-cher. Nach der letzten Bundestagswahl dauerte es 114 Tage bis eine Regierung gebildet wurde. Dies­mal könnte es im schlimmsten aller Fälle noch länger dauern. Es zeigt aber auch, wie wenig der Ausschluss bestimmter Optionen vor der Wahl hilft. Nimmt man alle getrof-fenen Aussagen beim Wort, wären weder Union noch SPD zu einer neuen GroKo bereit. Diese kann nach meinem Dafürhalten auch immer nur Ultima Ratio sein, wenn alles andere gescheitert ist. Dafür hatten wir diese Koalition in den letzten Jahren bereits zu oft. Lindner hatte zunächst die „Ampel“ ausgeschlossen, die grüne Anhänger:innenschaft „Jamaika“. Und ungeachtet der politischen Verhandlungen hätte auch keines dieser Bündnisse eine mehrheitliche Zu­stim­mung in der Bevölkerung hinter sich. Es bleibt somit spannend…!


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