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„Dann machen wir die Grenzen eben dicht!“ – Die Folgen unseres wirtschaftlichen Erfolgs


Deutschland ist und bleibt Rekord-Exportweltmeister. Im vergangenen Jahr betrug der Handels­über­schuss 244,5 Mrd. Euro. Damit sind die deutschen Überschüsse – trotz zwischenzeitlicher Finanz- und Wirt­schaftskrise seit dem Jahr 2000 von damals 59,1 Mrd. Euro um 413% gestiegen. Im selben Zeit­raum haben sich die privaten Geldvermögen fast verdoppelt von rund 3,4 Billionen Euro auf knapp 5,9 Billionen Euro. Die Steuereinnahmen sprudeln, die Schuldenuhr der öffentlichen Haushalte, läuft seit 2018 erstmals rückwärts.


Unser Wohlstand wächst und gedeiht. Also, alles in Ordnung? Leider nicht. Was bei aller Freude und Euphorie über die steigenden Überschüsse vergessen wird, ist die Kehrseite dieser Medaille: un­sere erzielten Überschüsse müssen logischerweise die Defizite Anderer sein. Diese zahlen für unseren Wohlstand einen hohen Preis. Wir tragen damit zu einer wachsenden Ungleichverteilung weltweit bei. Gravierender als diese ökonomische Umverteilung ist der Ver­brauch natürlicher Ressourcen bzw. die Belastung unserer Umwelt.


Charles Geisler (Cornell University) und Ben Currens (Kentucky University) haben als Extremszenario errechnet, dass bei fortschreiten­dem Klimawandel und weiter steigender Weltbevölkerung die Zahl der klimabedingten Flüchtlinge bis zum Jahr 2060 auf 1,4 Mrd. Menschen weltweit ansteigen könnte. Auch die UN warnte bereits davor, dass allein durch den zunehmenden Landverlust durch Bodenerosion in den nächsten zehn Jahren 50 Millionen Menschen zu Flüchtlingen gemacht werden – zu den bereits jetzt über 60 Mio. Geflüchteten weltweit. Steigende Meeresspiegel, Überschwemmungen, Dürren, Desertifikation und eine wachsende Anzahl bewaffneter Konflikte um Lebensraum und Ressourcen werden ihr Übriges dazu beitragen. Davon werden auch Teile insbesondere im Süden Europas unmittelbar betroffen sein.


Deutliche Migrations- und Fluchtbewegungen werden die Folge sein. Die Tatsache, dass die Flüchtlingszahlen aktuell gesunken sind bzw. Tausende von Menschen pro Jahr nun – fern unserer Wahrnehmung bzw. von uns ausgeblendet – im Mittelmeer ertrinken, dürfen uns über diese drohende Entwicklung nicht hinwegtäuschen. Dabei handelt es sich bei den Flüchtlingen nicht um politisch oder religiös Verfolgte, sondern um Menschen, bei denen die klimatischen Bedingungen eine Existenz in ihrem Heimatland schlicht nicht mehr zulassen. Die populistische Forderung vergangener Jahre, die Grenzen dann eben dicht zu machen, wird sich nicht umsetzen lassen. Bereits die knapp 2 Mio. Flüchtlinge der Jahre 2015/16 haben sich durch Zäune nur bedingt aufhalten lassen.


Die harte und bittere Wahrheit wird lauten: Wir werden unsere Lebensgewohnheiten ändern müssen. Wir alle werden von unserem Wohlstand abgeben und teilen müssen. Vorbei die Zeiten einer ungebremsten Wachstumshörigkeit. Es wird künftig nicht darum gehen, Wachstum zu schaffen, sondern die negativen Folgen des bisherigen Wachstumswahns abzumildern. Dies wird zu deutlichen Verwerfungen führen. Die Frage des Klimawandels und seiner Folgen wird damit eine Frage der sozialen, gesellschaftlichen und letzten Endes auch inneren Sicherheit.


Hier ist ein Umdenken erforderlich: Der Mut bei den Regierenden diese bitteren Wahrheiten auszusprechen, aber auch der Mut von uns allen, sich dem zu stellen. Und es setzt voraus, dass wir uns der Frage der sozialen Sicherheit bzw. Gerechtigkeit deutlich stärker widmen müssen. Denn höhere Ausgaben für die Bekämpfung des Klimawandels oder die Entwicklungshilfe werden bei aller Notwendigkeit nur dann eine Akzeptanz in der Bevölkerung finden, wenn auch innerhalb der eigenen Gesellschaft der soziale Ausgleich in einem akzeptablen Maß gewährleistet ist. Damit wird auch die „Soziale Frage“ eine Renaissance erleben und wieder deutlich an Bedeutung gewinnen.

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