Dass die AfD sich zunehmend radikalisiert, dürfte zwischenzeitlich jedem aufgefallen sein, der nicht völlig die Augen verschließt. Eine nicht enden wollende Liste an Aussagen und Forderungen belegt dies auf geschmacklose Art und Weise. Zuletzt wird Tino Chrupalla bei einem Wahlkampfauftritt in Gotha mit den Worten: „Die SPD ist endgültig für den Schafott geeignet.“ zitiert. Man diskutiert längst keine Inhalte mehr, man will den politischen Gegner vernichten. Das „Wir werden sie jagen!“ Gaulands hat hier noch einmal eine entscheidende Radikalisierung erfahren, die die Partei klar außerhalb jedes demokratischen Diskurses stellt. Man will den Gegner einschüchtern, mundtot machen. Machen wir den Sozis (und allen anderen) mal so richtig Angst. Die Menge johlt. Drohen wir dem Gegner mit Vernichtung. Die Menge ist ekstatisch. Mich persönlich erinnert es an die Wollt-ihr-den-totalen-Krieg-Rhetorik früherer Zeit. Antidemokratisch. Losgelöst von jedwedem Anstand. Fanatisch. Hasserfüllt.
Dabei übersieht die Gefolgschaft, welche der AfD drei Wochen vor den Wahlen in Sachsen und Thüringen zu einer Zustimmung von 30 Prozent der Wählerschaft verhilft, einen wesentlichen Punkt: Sie selbst wurden ebenfalls bereits infiziert. Infiziert und befallen von einem Angst-Erreger, den die Partei permanent gerade auch in die eigene Anhängerschaft injiziert.
Die AfD will keine Probleme lösen. Sie möchte sich nicht mit Sachpolitik befassen. Sonst könnte ja jemand bemerken, dass sie hier an auffallend vielen Stellen, wie die Hauptfigur in Andersens Kunstmärchen „Des Kaisers neue Kleider“, völlig entblößt dasteht. Wenn, dann verkauft die AfD Probleme und schürt irrationale Ängste.
Da wird die Angst geschürt, dass man dem Thüringer seine „Roster“ vom Brötchen nimmt. Man lasse sich den Fleischkonsum nicht verbieten. Da wird die Angst geschürt, dass man den Menschen, das Bargeld aus dem Portemonnaie nimmt. „Bargeld ist Freiheit!“, wird plakatiert. Da wird die Angst geschürt, dass man der Deutschen liebstes Kind wegnimmt, den Verbrenner-PWK, als Metall gewordener Inbegriff der Freiheit. Da wird die Angst geschürt, dass die Polizei künftig die Heizung im Keller auf Zulässigkeit überprüft („Grenzkontrolle statt Heizungskontrolle!“). Da wird die Angst geschürt, dass man durch ein kleines Sternchen seiner (sexuellen) Identität beraubt wird. Da wird die Angst vor dem „großen Austausch“ geschürt. Da wird permanent die Angst vor Zuwanderung geschürt. Vor einem Versagen des Staates. Vor Aufenthalten im Freien. Vor unsicheren Bahnhöfen. Vor Übergriffen. Vor Messerattacken.
Immer schriller wird der ängstigende Alarmismus, welchen die Partei in immer höherer Schlagzahl in die sozialen Äther schießt – egal, ob per Facebook, Telegram, X oder Tik Tok. Konsumiert und aufgesogen von einem willigen Millionenpublikum.
Da ist es egal, dass niemand ein Fleischverbot plant. Es ist egal, dass niemand eine Abschaffung des Bargeldes ernsthaft diskutiert. Es ist egal, dass niemand gezwungen wird, seine Heizung oder seinen PKW sofort gegen ein anderes Modell auszutauschen. Es ist egal, dass es keinen Zwang zum Gendern gibt. Wer es möchte, macht es – wer es nicht mag, lässt es. Es ist egal, dass die Statistiken sagen, dass man heute in unserem Land sicherer leben kann als vor Jahren.
Angst essen Seele auf. Es ist nicht verwunderlich, dass das Vertrauen der AfD-Anhängerschaft in die Politik, die Gesellschaft und ihre Institutionen am geringsten ausgeprägt ist. Es verwundert nicht, dass die Zukunftsaussichten und Erwartungen von AfD-lern deutlich schlechter sind als im Rest der Bevölkerung. Gerade heute wurde eine Umfrage veröffentlicht, wonach 98 Prozent der AfD-Anhänger über die aktuelle Lage im Land besorgt sind. Anteil der Zuversichtlichen: Null Prozent.
„Wer durch des Argwohns Brille schaut, sieht Raupen selbst im Sauerkraut,“ heißt es bei Wilhelm Busch. Wer dauerhaft nur mit Negativem konfrontiert wird und sich mit ge–schürten Ängsten auseinandersetzen muss, wird im Gegenzug den Blick für das Positive, Schöne, Neue verlieren.
Im schlimmsten Fall werden die Anhänger so von ihren Ängsten dominiert, dass sich psychische Beschwerden einstellen. Dann werden andauernde, wirklichkeitsferne und übertriebene Befürchtungen und Ängste zur regelrechten Störung. Menschen, die unter einer Angststörung leiden, entwickeln in der Folge doppelt so häufig Depressionen wie andere Menschen. Dann macht die AfD im wahrsten Wortsinn krank. Das ist der Partei egal, den Anhängern nicht bewusst. Der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel.
Und so erfüllen die gezielt geschürten Ängste weiter genau die Zwecke, welche die AfD erreichen will: Das schwindende Vertrauen in die Handlungsfähigkeit von Regierung und Staat und eine vermeintlich schier erdrückende Flut an Problemen, macht anfällig für die stark vereinfachten (und meist realitätsfernen) Lösungsvorschläge der Populisten. Gleichzeitig schüren sie die Ablehnung, die Wut oder gar den Hass gegenüber den verantwortlichen Akteuren. Und vor allen Dingen machen sie blind für die offensichtlichen Widersprüche, welche die AfD zuhauf bietet.
Da kann sich Höcke als Sprachrohr der Ostdeutschen generieren, wenn er behauptet: „Es fühlt sich wieder so an wie in der DDR. Dafür haben wir nicht die friedliche Revolution gemacht.“ Der friedliche Revolutionär Höcke war zum Zeitpunkt des Mauerfalls 17 Jahre alt und besuchte das Rhein-Wied-Gymnasium im rheinland-pfälzischen Neuwied. Sein Beitrag zur Wende dürfte damit eher übersichtlich gewesen sein. Der Anhängerschaft mag dieser Widerspruch nicht auffallen, zumindest aber nicht stören. Der baden-württembergische AfD-Abgeordnete Markus Frohnmeier, welcher auch gerne anderen aktiv droht („Ich sage diesen linken Gesinnungsterroristen, diesem Parteienfilz ganz klar: Wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dann wird ausgemistet.“) und Stimmung gegen Flüchtlinge macht, wurde selbst 1991 in Craiova in Rumänien geboren. Eigentlich heißt er Cornel. Und die lesbische Vorsitzende Alice Weidel lebt steuersparend in der Schweiz, was sie ebenfalls nicht davon abhält, gegen queere und homosexuelle Menschen zu hetzen.
Angst macht blind. Angst macht wütend. Angst macht anfällig. Angst überdeckt vieles. Sich von diesen erst einmal festgesetzten Ängsten zu befreien, ist schwierig. Je länger die Inkubationszeit dauert, je länger der Angst-Erreger Zeit bekommt, sich festzusetzen und auszubreiten, desto schwieriger wird es, sich davon zu befreien. Die AfD weiß das. Viele ihrer Anhänger tappen derweil weiter munter in die aufgestellte Angstfalle. Und riskieren ihre Gesundheit.
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