Gestern war er wieder in vielen Medien zu finden: der berühmte „Paukenschlag“. Eine häufig und gern genutzte Wendung, wenn insbesondere im politischen Bereich etwas Skandalöses, Plötzliches oder Unerwartetes passiert. Also Paukenschlag. Diesmal bei der AfD: Einer der beiden Bundesvorsitzenden, Jörg Meuthen, hat hingeworfen und ist zugleich aus der Partei ausgetreten.
Nicht, dass Meuthen nicht selbst gerne gezündelt und regelmäßig Stimmung gegen Geflüchtete oder die etablierten Parteien gemacht hätte. Dennoch war er eine der gemäßigteren Stimmen in der AfD. Im Mai 2020 konnte sich der Vorsitzende im „Fall Kalbitz“ (https://www.oliverjauernig.de/post/der-fall-kalbitz-die-gretchenfrage-der-afd) noch knapp gegen Chrupalla, Höcke und Co. durchsetzen. Der „Flügel“, als rechter Rechtsaußen-Ableger der „Alternative“ wurde zwar formal aufgelöst, netzwerkt jedoch weiter vor sich hin. Es folgten interne Streitereien und Machtkämpfe. Nun hat Meuthen das Handtuch geworfen.
Seiner Meinung nach stehen Teile der AfD nicht mehr auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Meuthen wörtlich: „Große Teile der Partei und mit ihr etliche ihrer führenden Repräsentanten haben sich für einen immer radikaleren, nicht nur sprachlich enthemmten Kurs, für politische Positionen und verbale Entgleisungen entschie-den […]“. Der nun alleinige Bundesvorsitzende Tino Chrupalla kommentierte den Abgang Meuthens mit den Worten: „Insgesamt, sag ich ganz ehrlich, hat Jörg Meuthen mit dem heutigen Tage die Spaltung der AfD beendet.“
Wenn die Rechtsaußen-Kräfte sich gegen die gemäßigteren Stimmen durchsetzen konnten und dies als Ende einer Spaltung angesehen wird, lässt dies nur einen Schluss zu: Die AfD hat sich endgültig aus dem demokratischen Spektrum verabschiedet. Nicht, dass dies überraschen würde. Am Ende wirkte es fast wie die regelmäßige Neuauflage eines Theaterstückes – wenngleich mit wechselnder Besetzung. Die Akteur:innen hießen Lucke, Petry, Meuthen. Und am Ende der Aufführung steht eine immer weiter in die extremistische Rechte abdriftende Partei. Das sieht auch Meuthen im ARD-Interview so: "Das Herz der Partei schlägt heute sehr weit rechts und es schlägt eigentlich permanent hoch". Er sehe zudem "ganz klar totalitäre Anklänge". Dieser Einordnung widerspricht Chrupalla – in Anlehnung an Oskar Lafontaine – dreist mit der Interviewaussage „Mein Herz schlägt links“. Vielleicht solle die Partei ihre vermeintlichen, politischen Herzrhythmusstörungen einmal professionell untersuchen lassen.
Einen ersten Anhalt, ob bzw. wie links das Herz der Partei schlägt, lässt sich ganz einfach an ihren konkreten politischen Entscheidungen ablesen. Denn da verhielt sich die selbsternannte, alternative Arbeiter:innenpartei wie folgt: Brückenteilzeit für Arbeitnehmer:innen – abgelehnt. Mehr Rechte für Arbeitnehmer:innen auf Abruf – abgelehnt. Entlastung für Geringverdiener:innen bei den Sozialversicherungsbeiträgen – abgelehnt. Neue Chancen für Lang1zeitarbeitslose durch Lohnzuschüsse – abgelehnt. Höhere Erwerbsminderungs-, Erziehungs- und Hinterbliebenenrenten – abgelehnt. 5,5 Mrd. für eine bessere Betreuung in den Kitas – abgelehnt. Mindestvergütung für Auszubildende – abgelehnt. Höhere Löhne in den Pflegeberufen – abgelehnt. Wegfall des „Soli“ für 90 Prozent der Steuerzahler:innen – abgelehnt. Grundrente für 1,3 Millionen Rentner:innen mit geringer Rente – abgelehnt. Zusätzliche 2 Mrd. Euro für eine bessere Ganztagsbetreuung von Kindern – abgelehnt. Bessere Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie – abgelehnt. Einmaliger Kinderbonus von 300 Euro je Kind – abgelehnt. Höhere Freibeträge für Alleinerziehende – abgelehnt. Besserer Schutz für Paketbot:innen – abgelehnt. 5,5 Mrd. Euro zusätzlich für den sozialen Wohnungsbau – abgelehnt. Man könnte schon mutmaßen, dass das „A“ in AfD für „Ablehnung“ steht.
Was bedeutet der Wechsel in der Führungsspitze nun? Die Partei wird künftig keine Diskussionen über ihren aufgelösten „Flügel“ oder ihre radikalisierte Jugendorganisation „Junge Alternative“ mehr führen müssen, denn der „Flügel“ IST nun die AfD. Das lässt eine weitere Rechtsverschiebung im politischen Spektrum erwarten – was u.a. den Verfassungsschutz hellhörig werden lassen müsste, der den „Flügel“ und die „JA“ bereits dem extrem rechten Personenpotenzial zuordnet.
Es sollte aber auch für die anderen Parteien ein Weckruf sein – allem voran für die Union. Dass der Vorsitzende der WerteUnion, Max Otte, für die AfD für das Amt des Bundespräsidenten kandidiert und nun mit Erika Steinbach ein prominentes Mitglied zur „Alternative“ wechselt, kann die neue Führung um Friedrich Merz nicht einfach ignorieren. Nicht, dass beide – sowohl Steinbach als auch Otte – nicht in der Vergangenheit in ihren Aussagen bereits eine deutliche inhaltliche Nähe zur AfD gezeigt hätten. Die Christdemokrat:innen müssen aufpassen, dass ihnen nicht ihre Partei erodiert – sich keine Sogwirkung bei den rund 4.000 Mitgliedern der WerteUnion aufbaut. Hier gilt es den Spagat zwischen der Anbindung dieser Mitglieder an die Union bei gleichzeitiger Abgrenzung zur AfD zu schaffen. Die schlechteste Variante wäre ein Versuch der Befriedung durch das Kopieren der AfD-Positionen.
Aufgabe aller demokratischer Parteien wird es zudem sein, die AfD ihres immer noch vorhandenen Nimbus der bürgerlich-konservativen Protestpartei zu nehmen. Dazu gehört einerseits, den Menschen im Land noch stärker zu verdeutlichen, welchen Weg die „Alternative“ eingeschlagen hat, was aber andererseits auch erfordert, insbesondere den Bürger:innen, welche die AfD tatsächlich nur aus Protest wählen, eigene, überzeugende Angebote zu machen. Beides wird unter den herrschenden Problemstellungen und Herausforderungen keine leichte Aufgabe. Also, liebe Demokrat:innen: Packen wir es an!
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