Seit 2019 mache ich mir jedes Jahr zu Beginn eines neuen Kalenderjahres Gedanken über die jeweilige Jahreslosung. Die Jahreslosung für 2025 steht im ersten Brief des Paulus an die Thessalonicher: „Prüft alles und behaltet das Gute!“ (1. Thessalonicher 5, 21).
„Prüft alles und behaltet das Gute!“. Das klingt zunächst nach einem kurzen, einem einfachen Appell. Und doch ist er das nur auf den allerersten Blick. Je mehr man über diesen Appell, diesen Auftrag, nachdenkt, umso schwieriger erscheint er einem. Umso mehr Fragen wirft er auf.
Paulus fordert die Gemeinde damit auf, sich Gedanken zu machen, sich aktiv mit ihrem Leben, ihrem Glauben und der Gesellschaft um sie herum auseinanderzusetzen.
Als Erstes ist da der Auftrag, alles zu prüfen. Eine Prüfung ist in der Regel etwas Aufwändiges, nichts, was man leichtfertig von der Hand gehen lässt. Prüfen, das heißt untersuchen, genau hinsehen, begutachten, einschätzen, beobachten, verfolgen, hinterfragen, kontrollieren, mustern – vielleicht auch zweifeln. Mit einer Prüfung geht nicht selten auch Verantwortung einher. Was, wenn bei der Prüfung ein Fehler unterläuft oder etwas übersehen wird? Was, wenn dieser Fehler am Ende unvorhersehbare, vielleicht gar fatale Folgen nach sich zieht?
Gerade in unserer heutigen Zeit, die geprägt ist von Schnelllebigkeit und an vielen Stellen auch von Oberflächlichkeit, bleibt in der Hast des Alltags oft schlicht nicht die Zeit, Dinge kritisch zu hinterfragen. Vielleicht sind die daraus resultierenden Fragestellungen auch zu komplex. Oder es erscheint einfach nicht wichtig genug. Was soll schon passieren? Frei nach dem Kölschen Grundgesetz: „Es hätt noch immer jot jejange.“ Oder man hat einfach den Kopf nicht frei, um sich die nötigen Gedanken zu machen – ganz gleich, ob dafür die Arbeit, das Ehrenamt oder die Familie ursächlich ist. Egal, ob man mit Krankheit, Streit, Trennung oder Arbeitslosigkeit belastet ist, alleinerziehend ist oder Angehörige pflegt. Es gibt unzählige Gründe, die uns im Alltag daran hindern, genauer hinzusehen.
Als Zweites beinhaltet Paulus‘ Appell, dass man etwas behalten soll. Etwas behalten zu wollen, heißt gleichzeitig eine Auswahl, eine Entscheidung treffen zu müssen. Auswahl bedeutet dabei immer auch Verzicht. Hier besteht erneut die Gefahr, sich aus welchen Gründen auch immer, falsch zu entscheiden. Es mag zudem Momente im Leben geben, wo man sich schlicht nicht entscheiden will – oder kann.
Und schließlich, dass ist der dritte Teil des Appells, soll man nicht Irgendetwas behalten, sondern das Gute. Was aber ist das Gute? Was ist damit gemeint? Wird auf das abgestellt, was gut für mich selbst ist? Wird am Ende damit sogar einer egoistischen Ellenbogenmentalität das Wort geredet, welche zumindest meiner Wahrnehmung nach in unserer Gesellschaft ohnehin schon immer mehr um sich greift? Oder soll man das behalten, was gut für die Allgemeinheit oder das Gemeinwohl ist? Oder gut für die Umwelt oder das Klima? Oder die Wirtschaft? Was, wenn sich das viele, je nach Perspektive verschiedene, Gute widerspricht? Oder ist mit dem Guten stattdessen eher das Richtige oder Wahre gemeint?
Das macht es jedoch nicht einfacher. In einer Zeit in welcher die sozialen Netzwerke zunehmend von Bots unterwandert werden, die gezielt Fake News verbreiten, in der mittels künstlicher Intelligenz realistische Deep Fakes generiert werden können und in der Populisten Stimmungen schüren, in dem sie sich gezielt von Fakten und Überprüfbarem lösen, wird das Unterscheiden zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Fakten und Fiktion, zunehmend schwierig. Und wer kann beispielsweise angesichts des Kriegs in der Ukraine mit absoluter Gewissheit sagen, was richtig und falsch ist?
„Prüft alles und behaltet das Gute!“. Je mehr man darüber nachdenkt, umso unmöglicher mag einem dieser Auftrag erscheinen. Und doch ist dieser Appell in unserer Zeit wichtig. In einer Zeit, in welcher viele Menschen krisenmüde geworden sind, angesichts der sich täglich wiederholenden negativen Meldungen aus aller Welt resignieren oder zunehmend blind werden für das, was um sie herum geschieht.
Gerade jetzt müssen wir hinsehen, prüfen, hinterfragen und möglichst das Gute zu bewahren suchen. Gerade jetzt sollten wir uns, wie die Thessalonicher zur Zeit Paulus, aktiv mit unserer Umwelt auseinandersetzen. In Jeremia 17, 7, meinem Konfirmationsspruch, heißt es: „Gesegnet ist der Mann, der sich auf den Herrn verlässt und dessen Zuversicht der Herr ist. So wünsche ich uns allen, in der Umsetzung dieses immer noch aktuellen Appells das nötige Vertrauen und die Zuversicht, das Gute erkennen und behalten zu können.
In diesem Sinn wünsche ich ein frohes, glückliches und vor allem auch gesundes, neues Jahr und alles Gute für 2025!
(Motiv: Verlag am Birnbach – Motiv von Stefanie Bahlinger, Mössingen)
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