Zäune und Mauern sollen schützen. In Ungarn und an der mexikanischen Grenze vor Flüchtlingen, als antifaschistischer Schutzwall ehemals vor Flüchtenden, als Einfriedung des eigenen Grundstücks die Privatsphäre und die friedliche Idylle des Eigenheims vor Bettlern, Hausieren und zu kontaktfreudigen Nachbarn. Es lebe die Gabione.
Einer Brandmauer fallen dabei besondere Aufgaben zu: Sie soll durch ihre Art und Beschaffenheit ein Übergreifen von Rauch und Feuer von einem Gebäudeteil zu einem anderen Verhindern. Dazu muss sie statisch besonders stabil sein, und auch die Einwirkungen von Hitze, Löschwasser und einstürzenden Bauteilen aushalten können. Solche Mauern existieren im übertragenen Sinn auch in der Politik.
Die Brandmauer zur AfD soll ein besonders sensibles Gebäude schützen, unsere Demokratie und unseren Parlamentarismus. Schützen vor den lodernden Flammen des Hasses, den rauchigen Schwaden des Populismus und dem Druck gezielter Provokationen und Störmanövern. Solche Brandmauern sind sinnvoll und sie sind wichtig, heute mehr denn je.
Im politischen Bereich sind sie vor allem dort wichtig, wo tendenziell am ehesten Schnittmengen zwischen Demokraten und Antidemokraten bestehen. Hier gilt es klare Kante zu zeigen.
So war es begrüßenswert und richtig, als Friedrich Merz als designierter CDU-Chef Ende 2021 sagte, dass es mit ihm „eine Brandmauer zur AfD geben“ werde. Konkret hat er im SPIEGEL-Interview gesagt: „Die Landesverbände, vor allem im Osten, bekommen von uns eine glasklare Ansage: Wenn irgendjemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, dann steht am nächsten Tag ein Parteiausschlussverfahren an.“ Das wirkt auch insofern konsequent als Merz 2019 noch angekündigt hatte, er werde die Wählerstimmen für die AfD halbieren. Man weiß inzwischen, dass es anders gekommen ist.
Die AfD hat deutlich an Zuspruch gewonnen. In Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen steht sie in den Umfragen auf Landesebene bei 30 bis 34 Prozent, auf Bundesebene ist sie mit plus minus 20 Prozent klar zweistärkste Kraft. Schuld hat aus Sicht von Friedrich Merz ganz klar die Ampel-Regierung. So sagte er im Juni 2023 auf sein Versprechen von 2019 angesprochen: „Wenn die Politik der Bundesregierung die AfD jetzt eher wieder stärkt, dann kann die Opposition sie nicht halbieren.“
Einen Monat später hat Merz eine Zusammenarbeit mit der AfD erneut ausgeschlossen. Aber das klang da schon verhaltener: Er zeigte Verständnis dafür, dass sich jemand an dem Begriff der Brandmauer stören könne. So formulierte er im Juli 2023: „Hinter dieser Brandmauer stehen nicht die Wähler, sondern hinter dieser Brandmauer stehen die Funktionäre und Mandatsträger, mit denen wir in den Parlamenten nicht zusammenarbeiten werden.“ Also, Verständnis für AfD-Wähler, aber keine Zusammenarbeit mit der AfD? Allerdings müsse man auf kommunaler Ebene überlegen, „wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet“ Damit ist die Brandmauer auf kommunaler Ebene passé – eingestampft von Merz höchstselbst. Oder der Erkenntnis folgend, dass die Mauer an zu vielen Stellen schon zu viele Risse bekommen hat. Im September 2023 hat dann die CDU im Landtag von Thüringen mit der AfD aus der Opposition heraus eine Grundsteuersenkung beschlossen. Aus der Brandmauer wurde spätestens da ein Brandmäuerchen.
Vom Erfolg der AfD beeindruckt, haben sich Merz und die Union zu einem immer populistischeren Politikstil verleiten lassen. Wenn man damit erfolgen haben kann, dann heiligt der Zweck die Mittel, dachte man sich wohl. Da wurde sachlich falsch gegen Migranten Stimmung gemacht („Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebenan kriegen keine Termine.“) Es wurden am laufenden Band Verbote oder Zwänge in die öffentliche Diskussion geworfen, die faktisch nur in den Köpfen der Populisten existieren, egal, ob das Verbrennerverbot, das Fleischverbot, der vermeintliche Zwang zum Gendern.
Am Ende dann die Debatte um das vermeintliche Heizungsverbot. Völlig egal, dass das Gebäudeenergiegesetz bereits 2020 unter der Regierung Merkel mit den Stimmen von CDU und CSU beschlossen worden ist. Man nannte das Ganze kurzer Hand „Heizungsgesetz“ und verkaufte es den aufgebrachten Bürgerinnen und Bürgern als Sinnbild rot-grüner Ideologie. Generell wurde alles, was nicht ins Weltbild passte, links-grün, wahlweise versifft, und woke. Die Unterschiede in Stil und Rhetorik zwischen AfD und Union verschwimmen in der Folge zunehmend.
SPD, Grüne und FDP sind schuld an allem Übel der Welt, so der Eindruck. Vor allem die Grünen. Da mag es nicht verwundern, dass sich im August 2024 fast die Hälfte (45 Prozent) der CDU-Mitglieder eine Kooperation mit der AfD vorstellen können. Spätestens seit dem fehlt dem Brandmäuerchen die Basis.
Wer trägt in einer solchen Situation aus Sicht von Merz Verantwortung für die Demokratie und stabile Verhältnisse in unserem Land? Nicht die Union, sondern eben die Sozialdemokratie, an welcher man kein einzig gutes Haar mehr lässt. So sagte Merz vor der Wahl in Brandenburg: „Da hat die SPD auch eine Verantwortung, dafür zu sorgen, dass es dann in Zukunft weiter stabile politische Mehrheiten in der politischen Mitte gibt.“ Gleichzeitig lehnte er die Führung für die eigene Partei nach den Wahlen in Thüringen und Sachsen ab. Zwar gebe es in seiner Partei im Westen an „vielen Stellen ein erhebliches Unbehagen mit Blick auf das, was jetzt in Thüringen und in Sachsen diskutiert wird. Aber das müssen wir als CDU aushalten. Und wir sollten aus der westdeutschen Komfortzone nicht unerbetene öffentliche Ratschläge geben.“
Nach Brandmauer, nach Durchgreifen, nach Parteiordnungsverfahren klingt das alles nicht mehr. Als sein Parteifreund Kretschmer schließlich empfahl, sich vom Begriff der Brandmauer zu distanzieren, behauptet Merz: „Das Wort Brandmauer hat nie zu unserem Sprachgebrauch gehört. Das ist uns immer von außen aufgenötigt worden.“ Und erdreistet sich nicht hinzuzufügen: „Ich brauche mich nicht von einem Begriff zu distanzieren, den ich selber nicht eingebracht habe.“
Schuld sind immer die anderen. Verantwortung für die Demokratie tragen auch die anderen. Man selbst habe mit alledem gar nichts zu tun.
Gerade mussten wir nach der Regierungskrise in Österreich erleben, dass die FPÖ, das österreichische Pendant zur AfD mit der Regierungsbildung beauftragt worden ist. Und wir sahen das Einknicken der österreichischen Konservativen, die nun zur Zusammenarbeit als Juniorpartner in einer FPÖ-geführten Regierung bereit zu sein scheinen. Es scheint wie eine Blaupause für Deutschland, wenngleich CDU/CSU und AfD am Ende die Rollen tauschen müssten.
Es befremdet auf jeden Fall, wenn Ex-CDU-Ministerin Julia Klöckner genau in diesen Tagen in den sozialen Netzwerken postet: „Für das, was Ihr wollt, müsst Ihr nicht AfD wählen. Dafür gibt es eine demokratische Alternative: die CDU.“ Das kann man als eine Gleichsetzung politischer Inhalte von CDU und AfD verstehen. Zumindest muss es in der jetzigen Situation aufhorchen lassen. Da hilft es auch nicht, wenn Klöckner, den Post schnell wieder hat verschwinden lassen und plötzlich klarstellt: „Recht und Ordnung sind die Grundlage unserer freien und demokratischen Gesellschaft.“ Das hätte sie damit aussagen wollen. Und wer ihr etwas anderes unterstellt, ist natürlich wieder links-grün-woke.
44 Tage vor der Wahl sind solche „Testballons“ Richtung AfD gefährlich. Im Zweifel wählen die Wählerinnen und Wähler immer das Original. Das sollte die Union gelernt haben. Am Ende könnte die CDU als Sieger aus der Bundestagswahl gehen. Mit den Grünen dürfte die Koalition schwierig werden. Mit der AfD wird man sich (zunächst) zieren. Und dann wird der Ruf nach der SPD laut werden. Dann wird der Union wieder die Brandmauer in den Sinn kommen. Dann müsse sich die SPD ihrer Verantwortung für das Land stellen. Etwas, das man ihr in der Vergangenheit nie gedankt hat. Und sollte sich die Sozialdemokratie diesmal verweigern, würde man ihr die Schuld und Verantwortung für die erste (von manchen ersehnte) „bürgerliche Koalition“ aus CDU/CSU und AfD zuschieben.
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