Wieder ein Wahlabend, wieder eine Landtagswahl, wieder in den neuen Bundesländern: Die AfD gewinnt erneut deutlich hinzu, die CDU stürzt wieder ab, die SPD scheint einmal mehr auf dem Weg in die vermeintliche Bedeutungslosigkeit. Wieder der Appell genauer hinhören, mehr mit den Menschen reden zu müssen. Wieder großes Entsetzen über das Abschneiden der AfD, wieder ein „schwarzer Tag für die Demokratie“. Wieder dieselben Fehler.
Die AfD hat deutlich zugelegt. Reflexartig wird das Wahlergebnis in der Folge als schlecht für die Demokratie dargestellt. Dabei ist eine um 12,2 Prozentpunkte gestiegene Wahlbeteiligung zunächst ein Gewinn für die Demokratie. In absoluten Zahlen haben sich 167.021 Menschen mehr an der Wahl beteiligt als bei der Wahl 2014. Wieder werden – zumindest in den sozialen Netzwerken – Wähler*innen beschimpft, werden die Menschen in Thüringen als dumm oder zurückgeblieben dargestellt. Diese Wählerschelte wird die AfD-Wähler allerdings nicht zurück zu den Volksparteien holen. Wieder suhlen sich Medienvertreter in den Verlusten von CDU und SPD und spekulieren über die Zukunft der GroKo und die Auswirkungen auf Berlin – wen interessiert es schon, dass es sich um eine Landtagswahl gehandelt hat?
Man hat ein starkes Déjà-vu – und doch ist manches in Thüringen anders, gar eine Zäsur.
Zum ersten Mal verfügen die Parteien der Mitte über keine Mehrheit mehr. Gewonnen haben die Linke (oder vielmehr Bodo Ramelow) und die AfD. Ohne eine dieser beiden Parteien ist eine Regierung in Thüringen nicht zu bilden. Der Wählerwille hat den politischen Akteuren ein Ergebnis geliefert, was eine Regierungsbildung faktisch unmöglich macht: es reicht nicht für Rot-Rot-Grün, nicht für Schwarz-Rot-Grün-Gelb. R2G2 wird von der FDP abgelehnt, welche wie schon nach der Bundestagswahl 2017 von anderen zwar staatspolitische Verantwortung einfordert, aber dazu selbst nicht bereit ist. CDU und Linke hätten eine Mehrheit, hier mauert jedoch die Union. Linke und AfD – undenkbar. CDU und AfD reicht ebenfalls nicht, auch wenn einzelne CDU-Politiker eine Zusammenarbeit nicht mehr per se ausschließen. Am Ende bleibt eine Minderheitsregierung, welche sich entweder geduldet oder im Wechsel ihre Mehrheiten immer wieder neu suchen muss. Ein gefundenes Fressen für Populisten, welche möglichen Stillstand als Versagen der anderen genüsslich ausschlachten werden.
Die AfD hat gewonnen, liegt allerdings hinter den Ergebnissen in Sachsen und Brandenburg. Und doch ist Thüringen auch hier eine Zäsur: Mit Spitzenkandidat Björn Höcke, einem Politiker, den man gerichtlich bestätigt, als „Faschisten“ bezeichnen darf bzw. muss, hat die Partei dort 23,6 Prozent der Stimmen eingefahren. Das muss hellhörig machen. Wenn man sich vor Augen führt, dass 69 Prozent der AfD-Wähler Höcke und seine Partei nicht trotz, sondern wegen ihrer politischen Inhalte und Forderungen gewählt haben, müssen bei allen Demokratinnen und Demokraten die Alarmglocken läuten! Es ging hier nicht in erster Linie um eine Protestwahl, darum den anderen „eins auszuwischen“, es ging um eine bewusste Zustimmung zu einer fremdenfeindlichen, rassistischen und rückwärts gewandten Politik.
Wie gefährlich Höcke ist, zeigt ein Blick in das Buch „Nie zweimal in denselben Fluss – Björn Höcke im Gespräch mit Sebastian Henning“, wo man einen Eindruck seiner Gedankenwelt erhält:
„Ein paar Korrekturen und Reförmchen werden nicht ausreichen. Aber die deutsche Unbedingtheit wird der Garant dafür sein, daß wir die Sache gründlich und grundsätzlich anpacken werden. Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen. Dann werden die Schutthalden der Moderne beseitigt, denn die größten Probleme von heute sind ihr anzulasten. […] Ich bin sicher, daß […] am Ende noch genug Angehörige unseres Volkes vorhanden sein werden, mit denen wir ein neues Kapitel unserer Geschichte aufschlagen können. Auch wenn wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen.“
Im AfD-Wahlprogramm für die Landtagswahl in Thüringen wird auf 96 Seiten insgesamt 36 mal vor den „ideologischen“ Wahnvorstellungen und Einflüssen der rot-rot-grünen Landesregierung gewarnt, vor denen man sich befreien müsse. Hinter diesem Befreiungsdrang steht jedoch allein die Absicht, die eigenen, z.T. (noch) strafbewährten Ansichten künftig noch offensiver und nachdrücklicher in der Öffentlichkeit vertreten, die populistische Büchse der Pandora noch weiter öffnen zu können.
Das zeigen auch die Kommentarspalten in den sozialen Netzwerken, wo sich die Anhängerschaft der AfD gar nicht mehr einkriegt vor Begeisterung, dass man es den Etablierten so richtig gezeigt habe. Dieser Anhängerschaft und der AfD geht es gar nicht um praktische Politik, sie haben kein Interesse an Problemlösungen oder an stabilen Verhältnissen. Sie wollen, sie brauchen das Chaos, sie lieben das Destruktive. Sie wollen spalten, sie wollen zerstören: das (ohnehin beschädigte) Vertrauen in Medien und Politik, den gesellschaftlichen Zusammenhalt, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung – letzten Endes: unsere Demokratie.
Und sie sind auf einem beängstigend-erfolgreichem Weg. Mit dem Narrativ von Merkels geöffneten Grenzen, dem Mantra der staatsgesteuerten Lügenpresse und dem Stilisieren als Opfer hat die AfD die Debattenkultur im Land bereits verändert, hat bewusst Ängste geschürt, Stimmungen verstärkt und so zumindest indirekt zu Drohungen, Straf- und Gewalttaten beigetragen. Und sie schafft es mit ihren Wahlerfolgen die Menschen zu bündeln, die „Man wird das doch noch sagen dürfen“-Fraktion weiter zu stärken.
Die Lehre aus der Thüringen-Wahl muss lauten: Es geht jetzt um unsere Demokratie. Es geht darum, ob unser Gesellschaftssystem mit seinen garantierten Freiheitsrechten auch künftig noch Bestand hat. Und um nichts weniger!
Es ist nicht mehr die Zeit für parteitaktische Spiele oder ein Wegducken, wie es die FDP betreibt. Es ist nicht mehr die Zeit, in den Medien das Ende der Volksparteien herbeizusehnen, nur der erhofften Schlagzeile wegen.
Es ist die Zeit, wo alle Demokratinnen und Demokraten, zusammenstehen müssen! Egal wo, egal in welcher demokratischen Partei, egal, ob in Politik, Wirtschaft, Kirche, Medien, Verbänden oder Zivilgesellschaft! Noch haben wir das Heft des Handelns in der Hand. Noch sind wir die Mehrheitsgesellschaft! Lasst uns die Spalter gemeinsam in die Schranken weisen!
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