Der Kulturkampf hat Deutschland erreicht - und die Union kämpft mit!
- Oliver Jauernig
- 15. Juli
- 4 Min. Lesezeit

Es ist schon eine gewisse Tradition: Die Amerikaner machen etwas vor und wir übernehmen es – irgendwann. Egal, ob Jazz, Rock´n´Roll oder Hip-Hop, ob Coca-Cola, Jeans, McDonald´s oder Burger King, ob Halloween oder Black Friday. Man muss nur ein wenig warten. Und nun ist allem Anschein nach auch der Trump´sche Kulturkampf nach Deutschland hereingeschwappt.
Das allein wäre schon schlimm genug, müssen wir uns am Ende vielleicht doch eingestehen, dass wir an vielen Stellen nicht besser (oder schlauer) sind als „die Amis“, auf welche wir aktuell gerne kopfschüttelnd mit dem Finger zeigen. Viel schlimmer ist, dass dieser Kulturkampf, beflügelt von den Soufleuren der AfD und mancher Medien, wie ein Virus in die Unionsfraktion eingedrungen ist und sich dort ungehemmt verbreitet.
Julia Klöckner, die neue Bundestagspräsidentin ist bis dato vor allem dadurch aufgefallen, dass sie häufig die erwartete oder gebotene Zurückhaltung und Neutralität vermissen lässt, welche ihre Vorgängerinnen und Vorgänger über Jahrzehnte mit dem Amt verbunden haben und was sie damit parteiübergreifend auszeichnete. So kritisierte Klöckner – ziemlich parteiisch – die Kirchen, die sich ihrer Meinung nach zu sehr zu Ungunsten der C-Parteien in politische Debatten einmischten.
Im Gegensatz dazu darf auf Klöckners Geheiß die Regenbogenflagge als Symbol für Toleranz und Akzeptanz nicht mehr auf dem Reichstagsgebäude gehisst werden. Dies würde die Neutralität des Hauses verletzen. Neutralität ja, aber nur dann, wenn es ins eigene politische Konzept passt? So muss man es sehen, wenn Klöckner gar die Polizei des Bundestages einsetzt, um die missliebige Fahne an Abgeordnetenbüros entfernen zu lassen. Die AfD feixt und feiert diese Entscheidungen. Die Bundestagspräsidentin im offenen Kampf gegen das „links-grün-woke Establishment“. Besser könnte das die AfD auch nicht – allein, ihr fehlen dazu (noch) die Mittel.
Gleichzeitig spricht sich die Brandenburger CDU-Politikerin Saskia Ludwig, die mehrfach für die rechtskonservative „Junge Freiheit“ geschrieben hat und dem Opus Dei zugetan ist, für einen Verzicht auf die (Reste der) Brandmauer zur AfD und wirbt offen um eine „Mitte-Rechts-Regierung“, also für eine Koalition aus Union und AfD. Gleichzeitig feiern Abgeordnete von CDU und FDP zusammen mit der gesichert rechtsextremen AfD auf deren Sommerfest in Meck-Pomm. Gleichzeitig gibt Markus Söder dem rechtspopulistischen und rechtskonservativem NIUS-Magazin, welches den allgemein akzeptierten Pressekodex missachtet, ein Interview. Geschäftsführender Direktor und Chefredakteur ist übrigens Julian Reichelt, der ehemalige Chef-Redakteur der BILD. Söder sieht darin kein Problem: „NIUS ist mitten in der bürgerlichen Gesellschaft.“ Gleichzeitig plant das Innenministerium von Alexander Dobrindt die Erfassung von Menschen, die das Selbstbestimmungsgesetz in Anspruch genommen haben, in einem Sonderregister zu erfassen. Gleichzeitig will Dobrindt das Kruzifix-Urteil für bayerische Schulen nicht akzeptieren und will das entsprechende Urteil ignorieren – ohne das Urteil selbst überhaupt gelesen zu haben. Ein Innenminister, der die Unabhängigkeit von Gerichten in Frage stellt – das erinnert an den amerikanischen Präsidenten.
Das Ganze gipfelte schließlich in einer medial und politisch hochgezogenen Debatte um die Berufung der Juristin Brosius-Gersdorf an das Bundesverfassungsgericht. Die Professorin für Öffentliches Recht war in ihrer Laufbahn u.a. von 2015 – 2024 stellvertretendes Mitglied am sächsischen Verfassungsgerichtshof – berufen vom sächsischen Landtag unter CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich. Sie war Mitglied in der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer und wurde in die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin der Bundesregierung berufen. Daneben hat sie wiederholt als Gutachterin für verschiedene wissenschaftliche Stiftungen, u.a. die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung gearbeitet. Sie ist Mitherausgeberin der Zeitschrift „Die Sozialgerichtsbarkeit“ und gibt seit 2023 den Grundgesetz-Kommentar heraus.
Nun der Vorwurf, sie sei „ultralinks“ und „linksradikal“, darüber hinaus für eine Impfpflicht während Corona, für das Töten Ungeborener und für ein AfD-Verbot. Da postet dann der AfD-Vize von NRW, Tritschler, mit dem Foto der Juristin ein Fake-Zitat („Babys im Mutterleib kurz vor der Geburt zerhacken ist ein Menschenrecht!“) – ein Beitrag, der fast viertausend (!) Mal geteilt wird. Monika Gruber bezeichnet die Kandidatin als „radikale Lebensfeindin“. Der öffentliche Shitstorm ist eröffnet. Medien berichten, Brosius-Gersdorf habe im Nachgang Morddrohungen erhalten. Auch wenn dies nicht bestätigt ist, sprechen die Kommentare in den sozialen Netzwerken eine eigene, zum Teil strafrechtlich relevante, Sprache.
Und als diese Stimmungsmache noch nicht gereicht hat, sind just am Tag der geplanten Berufung vermeintliche Plagiatsvorwürfe gegen Brosius-Gersdorf. Honi soit qui mal y pense – ein Schelm, der Böses dabei denkt! Angeblich habe die Juristin in ihrer Dissertation von ihrem Mann abgeschrieben. Da war es egal, dass der „Plagiatsjäger“ Stefan Weber im Nachgang behauptet hat, dass er keinen solchen Vorwurf erhoben habe. Da wurde bewusst übersehen, dass Brosius-Gersdorf ihre Arbeit bereits 1997 verfasst hat – drei Jahre vor (!) ihrem Mann.
Auch inhaltlich sind die Vorwürfe gegen die Juristin nicht haltbar. Brosius-Gersdorf hat bei Lanz gesagt: „Meines Erachtens gibt es gute Gründe dafür, dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt.“ Sie hat aber auch klargestellt, dass sie weder für eine Entkriminalisierung von Spätabtreibungen ist, noch für eine Legalisierung von Abtreibungen bis zur Geburt. Sie sieht bei der Zuerkennung der Menschenwürde ab dem Zeitpunkt der Nidation jedoch in bestimmten Fällen, zum Beispiel bei medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbrüchen, eine rechtliche Inkongruenz. Das kann man inhaltlich diskutieren - wenn man es versteht.
Um Inhalte geht es jedoch nicht. Es geht um die Beschädigung einer politisch nicht gewollten Kandidatin. Um das Anheizen von Stimmungen. Und selbst, wenn die Juristin berufen wird, dann ist sie eine von acht Richtern. In der Regel ist der Senat auch gar nicht Fragen des Abtreibungsrechts zuständig – wohl aber für ein mögliches AfD-Verbotsverfahren.
So wundert es nicht, dass die ehemalige AfD-Abgeordnete bei X an die Adresse der Union schreibt: „Bitte verhindern Sie das!“ (gemeint ist die Wahl Brosius-Gersdorfs) – und die oben bereits erwähnte Saskia Ludwig (CDU) antwortet: „Erledigt. ;)“. Und es wundert nicht, dass JU-Chef und MdB Tilman Kuban dazu aufruft, dass die Juristin ihre Kandidatur zurückziehen solle. Oder dass der Vorsitzende der CDU Mecklenburg-Vorpommern, Daniel Peters, Gleiches fordert. Derselbe Vorsitzende wurde übrigens auch gefragt, ob sich die Union von „rechten Medien“ habe treiben lassen. Seine Antwort: „Ganz klar nein.“ Beides nachzulesen – bei NIUS.
Und was schreibt NIUS-Chef Julian Reichelt in einem Kommentar? „Wir gewinnen den linken Kulturkampf!“
Der Kulturkampf hat begonnen. Es geht nicht mehr um Inhalte – sondern um Meinungsführerschaft, um Deutungshoheiten. Das ist gefährlich. Dass sich die Union, Seit an Seit mit der AfD, ebenfalls auf dieses schmale Brett begibt, mag ihr aus strategischer Sicht kurzfristig sinnvoll erscheinen, aber es schadet der inhaltlichen Debatte, der politischen Kultur – und am Ende der Demokratie. Die AfD bedankt sich.



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