
Er hat es getan. Er hat es tatsächlich getan. Heute, am 29. Januar 2025, kurz nachdem der Deutsche Bundestag in einer Gedenkstunde der Opfer des Nationalsozialismus und der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 80 Jahren gedacht hat. An diesem besonderen Tag hat Friedrich Merz mit seiner Union die Büchse der Pandora geöffnet.
Das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik wurde ein Antrag mit den Stimmen von Rechtsextremisten angenommen. Merz nahm dies bewusst und billigend in Kauf. Der politische Schaden ist schon jetzt immens. Die längerfristigen Folgen dieser Entscheidung sind noch nicht einmal im Ansatz absehbar, aber sie werden unsere Gesellschaft, unser Land und vielleicht auch Europa nachhaltig verändern.
Merz hat einen Entschließungsantrag zur Verschärfung des Ausländerrechts eingebracht. Darin fordert er u.a. dauerhafte Grenzkontrollen, die Zurückweisung ausnahmslos aller Versuche illegaler Einreise, die Inhaftierung vollziehbar Ausreisepflichtiger.
Wie realistisch, wie zulässig ist das Ganze?
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hält die Pläne allein quantitativ für nicht umsetzbar. „Wir sind mit der Art und Weise der Grenzkontrollen, die wir jetzt schon betreiben, am Rande des Machbaren.“, so der Vorsitzende für den Bereich der Bundespolizei. Für dauerhafte Kontrollen, fehlten mehrere Tausend Beamte und entsprechende Technik. Allein die Ausbildung der Beamten würde mehrere Jahre dauern. Immerhin gelte es rund 3.750 Kilometer Grenze zu schützen. Letzten Endes wäre eine bloße Kontrolle an den Grenzübergängen ohne Sicherung der grünen Grenze wirkungslos.
Dauerhafte Grenzkontrollen wären auch rechtlich nicht zulässig. Sie würden gegen den Schengener Grenzkodex verstoßen, welcher Grenzkontrollen zwischen den Staaten des Schengen-Raums verbietet. Nach Genehmigung durch die EU dürften in besonderen Gefahrensituationen nur für längstens zwei Jahre Kontrollen durchgeführt werden. Auch die Zurückweisung von Geflüchteten an der Grenze wäre unzulässig. Das Dublin-III-Abkommen schreibt zunächst eine Prüfung der Zuständigkeit vor und untersagt das Zurückschicken in Nachbarländer. Dies zu missachten, würde an den Grundpfeilern der Europäischen Union rütteln und das Vertrauen in die deutsche Politik erheblich beschädigen. Auch mit dem Grundrecht auf Asyl, also mit unserer Verfassung, wäre das nur schwer in Einklang zu bringen.
Aktuell sind rund 220.000 Menschen ausreisepflichtig, d.h. sie könnten unter bestimmten Bedingungen abgeschoben werden. Sie zu inhaftieren, würde die Kapazitäten der Haftanstalten, des Personals usw. bei Weitem sprengen. Hinzu kommt, dass eine Inhaftierung nicht das Problem lösen würde, dass sich die Herkunftsländer zum Teil weigern, diese Personen wieder einreisen zu lassen oder Papiere auszustellen.
Der Antrag blendet auch aus, dass die Regierung bereits Maßnahmen gegen illegale Zuwanderung beschlossen hat. Die Zahl der Asylsuchenden ist 2024 im Vergleich zum Vorjahr um 29 Prozent gesunken. Gleichzeitig ist die Zahl der Abschiebungen mit etwa 20.000 Personen auf den höchsten Wert seit 2019 gestiegen.
Merz´ Antrag ignoriert die Realität, missachtet geltendes Recht und ist schlicht nicht umsetzbar. Warum also das Ganze? Er will im Wahlkampf Druck auf Grüne und SPD aufbauen, indem er die Messerattacke von Aschaffenburg und die Ängste in der Bevölkerung auf populistische Weise zu instrumentalisieren sucht. Dafür nahm er die angekündigte Zustimmung der AfD in Kauf. Dafür ignorierte er alle Bedenken – selbst die Kritik von evangelischer und katholischer Kirche. Diese erklärten, dass die Debatte dazu führen könne „alle in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten zu diffamieren, Vorurteile zu schüren und […] nicht zur Lösung der tatsächlich bestehenden Fragen“ beitrage.
Die Debatte der letzten Tage war Wasser auf die Mühlen der AfD. Sie hat in der jüngsten Yougov-Befragung in der Sonntagsfrage im Vergleich zur Vorwoche um vier Punkte auf 23 Prozent zugelegt und liegt nur noch sechs Prozent hinter der Union. Kein Wunder also, dass nach der denkbar knappen Annahme des Antrags mit 348 zu 344 Stimmen bei zehn Enthaltungen Jubel bei der AfD ausbrach. Abgeordnete lagen sich vor Freude über das Ergebnis in den Armen.
„Jetzt und hier beginnt eine neue Epoche. Jetzt beginnt etwas Neues. Und das führen wir an. Das führen die neuen Kräfte an. Das sind die Kräfte von der AfD. Sie können folgen, Herr Merz, wenn Sie noch die Kraft dazu haben,“ so die Worte des Parlamentarischen Geschäftsführers der AfD, Dr. Bernd Baumann. Und im Hinterkopf hallt immer noch das „Wir werden sie jagen!“ Gaulands nach.
Die Feinde der Demokratie tanzen im Parlament. Mit den Stimmen von CDU, CSU und FDP und durch die Enthaltung des BSW konnten sie ihren bisher größten Sieg im Bundestag feiern. Explizit auszunehmen ist hier die CDU-Abgeordnete Antje Tillmann, welche als einzige Unionsabgeordnete gegen den Antrag votierte. 187 andere unterstützten Merz´verantwortungsloses Spiel. Da halfen die betretenen Mienen und das geäußerte Bedauern nach Bekanntgabe des Ergebnisses nichts. Was haben sie denn erwartet?
Die Brandmauer von der Merz sprach und seit einiger Zeit nichts mehr wissen will, wurde atomisiert. Er hat die AfD nicht, wie angekündigt, halbiert, sondern ihr zu einer neuen, bisher nicht gekannten Stärke verholfen. Wenige Wochen vor der Wahl.
Weder Schwarz-Grün, noch Schwarz-Rot hätte aktuell eine Mehrheit. Die einzige Koalition ohne die AfD wäre ein Bündnis aus CDU, CSU, Grünen und SPD. Mit seiner Zockerei hat Merz hier jedoch massiv Vertrauen zerstört und das Verhältnis belastet. Im schlimmsten Fall wird es nach der Wahl keine stabile Regierung geben. Oder die AfD wird doch daran beteiligt. In beiden Fällen gewinnen die Rechtspopulisten und -extremisten.
„Wir werden Sie jagen!“ – Sie werden uns jagen.
Die Büchse der Pandora wurde heute geöffnet.
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